Adipositas als unabhängiger Risikotreiber

Mit dem Gewicht steigt die Gefahr renaler, kardialer und metabolischer Komplikationen

WIEN.  Die klinische Bedeutung von starkem Übergewicht reicht weit über die Entstehung von Typ-2-Diabetes hinaus. Daten aus bevölkerungsbasierten und Interventionsstudien zeigen, dass es entscheidend zur Progression chronischer Nierenerkrankungen und Herzinsuffizienz beiträgt und auch die Prognose bei Typ-1-Diabetes negativ beeinflusst. Ein Gewichtsverlust durch Pharmakotherapie, bariatrische Chirurgie oder gesünderen Lebensstil zahlt sich also aus.

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Die weltweite Zunahme von Übergewicht und Adipositas beschäftigt Ärzt*innen aller Fachrichtungen. Dabei wird immer stärker deutlich, dass überschüssige Kilos nicht nur über den Glukosestoffwechsel Organfunktionen beeinträchtigen, sondern über direkt wirkende Fettgewebsprozesse wirken – lokal wie systemisch.

Übergewicht wirkt nicht nur mittelbar auf die Niere  
Professor Dr. Peter Rossing von der Universität Kopenhagen erläuterte dies am Beispiel der chronischen Nierenerkrankung (CKD): „Mittlerweile ist weltweit etwa einer von zehn Menschen betroffen, wobei die meisten von ihnen gar nichts von ihrer Erkrankung wissen, weil sie keine Symptome haben und nicht getestet werden.“ Niereninsuffizienz werde zwar bislang nur selten als direkte Folge von Adipositas diskutiert. Dennoch geht Prof. Rossing davon aus, dass nicht nur über den Umweg von Hyperglykämie und Bluthochdruck ein Zusammenhang besteht. Dafür spricht auch die Tatsache, dass zunehmend metabolisch gesunde Menschen mit Adipositas an CKD erkranken.

Prof. Rossing plädierte dafür, früh gegenzusteuern – durch Lebensstilmodifikationen, pharmakologische Unterstützung oder metabolische Chirurgie. Dabei gelte es, das Nierenschutzpotenzial über den bloßen Gewichtsverlust hinaus zu untersuchen. Allerdings müsse man im Auge behalten, dass bei einem Gewichtsverlust auch Muskelmasse verloren geht, was sich auf den S-Kreatinin-Spiegel auswirkt. „Dann sollte man Cystatin C
als Marker für die Nierenfunktion in Erwägung ziehen.“

Diabetologie und Kardiologie: Bitte enger zusammenarbeiten
Einblicke in den Zusammenhang zwischen Adipositas und Herzinsuffizienz (HF) lieferte Dr. Laura M. G. Meems, Kardiologin am University Medical Center Groningen. In internationalen Kohorten steige das Risiko für Herzinsuffizienz pro BMI-Punkt um etwa 5 bis 7 %. Doch ebenso wie Vorredner Prof. Rossing betont auch Dr. Meems, dass der BMI als alleiniger Marker für Adipositas zu kurz greift: Entscheidend sei vielmehr die Fettverteilung. Insbesondere das epikardiale Fett (epicardial adipose tissue, EAT) wirke durch Entzündungsmediatoren direkt auf das Herzgewebe. Dr. Meems warnte: „Entzündung ist der Schlüsseltreiber bei adipositasbedingter Herzinsuffizienz.“

Interventionen wie Diät und Bewegung zeigen auch für das Herz positive Effekte, doch oft nur bei erheblichem Gewichtsverlust, wie er mit bariatrischen Eingriffen oder Inkretintherapien erreicht wird. Ihre kardioprotektiven Eigenschaften beruhen auf positiven Effekten auf den Volumenhaushalt, den Blutdruck und die systemische Inflammation. In Tierexperimenten verbesserten sich Herzparameter auch unabhängig vom Gewichtsverlust.

Für Dr. Meems geben die jüngsten Forschungsergebnisse Anlass, sich für mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit starkzumachen: „Ich möchte Sie dringend darum bitten, enger mit Kardiologen zusammenzuarbeiten, um die Ergebnisse ihrer Patienten zu verbessern.“

Adipositas bei Typ-1-Diabetes: Wie wirken Inkretine?
Übergewicht und Adipositas sind nicht nur Begleiterscheinungen des Typ-2-Diabetes, sondern zunehmend auch des Typ-1-Diabetes, wie Professor Dr. Helen M. Colhoun betonte. Die Epidemiologin mit Fokus Diabetes von der Universität Edinburgh berichtete, in Schottland seien bereits rund zwei Drittel der Menschen mit Typ-1-Diabetes übergewichtig oder adipös. Der erhöhte BMI korreliere mit höheren Raten von Retinopathie, Herzinsuffizienz und Nierenschäden.

Als Mitursachen des Gewichtsanstiegs nannte sie Angst vor Hypoglykämien, psychosoziale Faktoren, restriktives Essverhalten, Bewegungsvermeidung, Diabetesdauer, genetische Veranlagung für Typ-2-Diabetes, ein höheres HbA1c und eine intensivierte Insulintherapie – aber auch technologische Entwicklungen wie Insulinpumpen oder AID-Systeme. So legten Beobachtungsdaten aus Schottland nahe, dass ein zunehmender Einsatz von CGM-Systemen ebenso mit Gewichtszunahme einherging wie der Einsatz von hybriden AID-Systemen. Hier habe man eine mittlere Gewichtszunahme von 1,9 kg beobachtet.

Grenzen des Body-Mass-Index (BMI) und Alternativen

Der Body-Mass-Index (BMI) steht zunehmend in der Kritik:

  • Fehlende Differenzierung/keine Unterscheidung zwischen Fett- und Muskelmasse: Nach Gewichtsreduktion kann ein sinkendes Kreatinin (durch Muskelabbau) zu Fehleinschätzungen führen.
  • Keine Aussage zur Fettverteilung: Viszerales Fett, epikardiales Fett (EAT) oder Leberfett bleiben im BMI trotz klinischer Relevanz verborgen.
  • Ungenaue Risikoabschätzung: Studien zeigen, dass der Zusammenhang zwischen BMI und kardiovaskulären oder renalen Komplikationen nur begrenzt abgebildet wird.

Alternativen und Ergänzungen:

  • Taille-Hüft-Quotient (WHR): besserer Prädiktor für viszerale Adipositas und assoziierte Risiken.
  • Bildgebende Verfahren (z. B. MRT, CT, Ultraschall): ermöglichen die Erfassung von viszeralem und ektopischem Fett (z. B. EAT).
  • Kombinationsansätze: Integrierte Scores, die anthropometrische Maße, Bildgebung und Laborwerte verknüpfen, bieten die genaueste Risikostratifizierung.

Umso wichtiger erscheint es, die neuen Inkretintherapien vermehrt auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes zu testen. Denn während der Effekt von Metformin auf Körpergewicht und Insulinbedarf bei Typ-1-Diabetes überschaubar ist, zeigen GLP1-RA deutliche Effekte. So sank in der Interventionsstudie ADJUST T1D das Gewicht im Schnitt um 8,8 kg, obwohl der mittlere HbA1c-Wert sich nur unwesentlich veränderte.

In der TIRTLE1-Studie gelang es den Teilnehmenden ebenfalls, im Schnitt 8,7 kg abzunehmen. Gleichzeitig konnten sie ihre Insulindosis um 35 % reduzieren. Prof. Colhoun betonte: „GLP1-Agonisten könnten Gamechanger sein – gerade durch die starke Insulinreduktion.“ Sie mahnte allerdings, dass wichtige Forschungsfragen bislang noch ungeklärt sind, etwa die Langzeitstabilität des Körpergewichts, Effekte auf die Betazellrestfunktion, Risiken im Zusammenhang mit Augengesundheit oder gastrointestinalen Erkrankungen wie Gastroparese sowie geschlechtsspezifische Effekte während der Menopause oder der Schwangerschaft.

Antje Thiel

EASD 2025