„Hinter einem Rezept steckt oft eine lange Leidensgeschichte“
REGENSBURG. Im Sommer 2025 haben die ersten 22 Teilnehmenden den Kurs absolviert, der ihnen vertiefte Kenntnisse für die orthopädieschuhtechnische Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom vermittelt hat. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv. Im Vordergrund standen für viele die Stärkung der psychosozialen Kompetenzen und das Netzwerken.
Das Diabetische Fußsyndrom (DFS) zählt zu den komplexesten Versorgungsaufgaben im Gesundheitshandwerk. Druckumverteilung, Entlastung und präventive Maßnahmen sind entscheidend, um Rezidive und Amputationen zu vermeiden. Angesichts der Komplexität kann eine adäquate orthopädieschuhtechnische Versorgung nur gelingen, wenn die beteiligten Professionen im Sinne der Betroffenen zusammenwirken. Dabei gilt es, geeignete Therapien und Hilfsmittel zielorientiert aufeinander abzustimmen und mit den Betroffenen individuelle Lösungen zu finden.
Ein Ziel: Menschen mit DFS besser verstehen
Die DDG hat deshalb einen Zertifikatskurs ins Leben gerufen, der Orthopädieschuhmacher*innen (OSM) vertiefte Kenntnisse für die leitliniengerechte Versorgung vermittelt. Angelika Deml, Bildungsreferentin an der Katholischen Akademie für Gesundheitsberufe Regensburg und Mitglied im Ausschuss „Qualitätssicherung, Schulung & Weiterbildung“ der DDG, erklärt dazu: „Wir haben bewusst neben biomechanischen und medizinischen Aspekten auch psychosoziale Themen aufgenommen.“
Hierzu gehört u. a. das Konzept des Leibesinselschwundes (s. Kasten), der dafür verantwortlich ist, dass Betroffene therapeutische Empfehlungen nicht umsetzen. „OSM wissen natürlich, wie man rein handwerklich vorgeht, wenn ein Fuß entlastet werden muss. Doch es geht auch darum, dass sie Menschen mit DFS und ihr Krankheitsbild besser verstehen und ihr Fachwissen empathisch umsetzen können.“
Das Feedback zum Kurs zeigt, dass dieses Ziel offenbar erreicht wurde. So gaben die Absolvent*innen u. a. an, der Kurs habe ihr Verständnis für Menschen mit DFS und ihre individuellen Bedürfnisse gestärkt und ihnen kommunikative Techniken vermittelt, mit denen sie leichter eine gemeinsame Gesprächsebene finden. Auch die Lernatmosphäre und die Möglichkeit, sich auszutauschen, fanden Anklang.
Fortbildung im Bereich Diabetes als logischer Schritt
Einer der Teilnehmer des ersten Kurses war Peter Dilger, Orthopädieschuhmacher aus Winnenden bei Stuttgart. Der Orthopädieschuhmachermeister bezeichnet die Fortbildung als logischen Schritt: „Ich habe 2023 den elterlichen Betrieb übernommen. Schon länger war absehbar, dass die Zahl der Diabetesversorgungen zunimmt. Für mich war klar: Wenn wir zukunftsfähig bleiben wollen, müssen wir uns in diesem Bereich spezialisieren.“
Während er die handwerklichen Grundlagen bereits mitbrachte, eröffnete ihm der Kurs neue Horizonte: „Es ging nicht nur um Technik, sondern auch darum, die Patienten wirklich zu verstehen – ihre Ängste, ihre Krankengeschichte, die psychosozialen Belastungen.“ Besonders die Hospitation in einer DDG zertifizierten Fußbehandlungseinrichtung war für ihn ein Schlüsselerlebnis: „Da sieht man, dass hinter einem Rezept oft eine lange Leidensgeschichte steckt. Man begegnet Menschen, die vielleicht schon Amputationen hinter sich haben und deren Lebensqualität stark eingeschränkt ist. Das verändert den Blick: Wir sind nicht einfach nur Schuhmacher, wir sind Teil eines interdisziplinären Teams.“
| Fallvorstellungen bei der AG Fuß Ein wesentlicher Bestandteil der Fortbildung „Orthopädieschuhmacher*in DDG“ ist die Präsentation eigener Fälle auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG. Die ersten zertifizierten OSM werden ihre Erfahrungen vom 27. bis 28. Februar 2026 in Bad Mergentheim vorstellen. Ziel ist es, den Transfer des Gelernten in die Praxis sichtbar zu machen, Erfolge zu teilen und die Diskussion mit Ärzt*innen und anderen Berufsgruppen zu fördern. |
Eine weitere wichtige Erkenntnis für Dilger: Die Versorgung endet nicht beim Anpassen eines Schuhs: „Wir können die besten Hilfsmittel bauen, wenn sie nicht getragen werden, helfen sie nicht. Da kommt es auf Kommunikation und Einfühlungsvermögen an, und auch darauf, mit Ärzten und Angehörigen im Gespräch zu bleiben.“
Anhand eines Beispiels aus seinem Arbeitsalltag berichtet Dilger, wie ihn der Kurs und der Austausch mit den anderen Teilnehmenden darin bestärkt haben, auch enger mit den anderen Beteiligten zusammenzuarbeiten. „Ein Patient wurde nach einer Zehenamputation zu uns geschickt, er sollte eine Maßschuhversorgung bekommen.“ Dilger schlug in enger Absprache mit der verordnenden Arztpraxis zunächst eine Interimsversorgung vor, um die Wundheilung nicht zu gefährden. „Diese reibungslose Zusammenarbeit hat am Ende eine schnelle Versorgung ermöglicht und konnte so zur Wundheilung beitragen.“
Vernetzung mit anderen OSM aus der DFS-Versorgung
Neben der Wissensvermittlung sieht Dilger einen großen Gewinn darin, sich auszutauschen: „Der Kurs ist eine tolle Möglichkeit, sich mit Menschen zu vernetzen, die ähnliche Interessen haben und sich ebenfalls auf das Thema DFS-Versorgung spezialisieren wollen.“ Durch die Hospitation seien zudem Kontakte entstanden, die er weiter pflegen möchte: „Über die persönliche Zusammenarbeit öffnen sich ja manche Türen leichter.“
Bevor Dilger sein Zertifikat in Empfang nehmen kann, steht noch seine Fallvorstellung auf der Jahrestagung der AG Diabetischer Fuß an (s. Kasten oben): „Ich habe schon einen Fall im Blick, den ich dort präsentieren möchte – das wird sicher spannend.“
Kurs lässt sich gut in den Arbeitsalltag integrieren
Positiv bewertet Dilger die Struktur des Kurses und das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis: „Gerade für kleine Betriebe ist es schwierig, den Laden für mehrere Tage am Stück zu schließen. Das Modell mit Online-Einheiten und zwei Blöcken à zwei Tagen Präsenz war für mich ideal. So konnte ich die Kursteilnahme gut in meinen Arbeitsalltag integrieren.“
Dilger sieht auch strategische Vorteile: „Ich hoffe, dass wir zertifizierten Orthopädieschuhmacher uns künftig klar von Sanitätshäusern abgrenzen können, die das Thema DFS eher nebenbei mit abdecken. Für uns ist das ein Alleinstellungsmerkmal, das wir mit dem DDG Zertifikat nach außen tragen können.“ Dabei will die AG Diabetischer Fuß den Absolvent*innen helfen: Nach der Jahrestagung im Februar 2026 wird sie eine Liste zertifizierter OSM auf ihrer Website veröffentlichen, damit Diabetespraxen und Patient*innen nach OSM mit nachgewiesener Expertise suchen können.
Antje Thiel