Automatisierte Insulinabgabe und Sport: Was ist zu tun?

Neues Positionspapier von EASD und ISPAD mit Empfehlungen für AID-Systeme

BAYREUTH.  Sportliche Aktivität ist bei Diabetes unabhängig von Diabetestyp und Therapieform sinnvoll. Sie kann allerdings zu Glukoseschwankungen führen, die auch die Algorithmen von Systemen zur automatisierten Insulinabgabe (AID) auf eine harte Probe stellen. Orientierung hierzu bieten evidenzbasierte neue Empfehlungen – und zwar explizit für jedes der derzeit kommerziell verfügbaren AID-Systeme.

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Ende Dezember haben die Europäische Diabetesgesellschaft (EASD) und die Internationale Gesellschaft für pädiatrischen und jugendlichen Diabetes (ISPAD) ein Positionspapier veröffentlicht, das erstmals detaillierte Empfehlungen für den Einsatz im Kontext von körperlicher Aktivität gibt. Erstautor Professor Dr. Othmar Moser vom Lehrstuhl für Exercise Physiology & Metabolism an der Universität Bayreuth erklärt dazu: „Es ist das allererste Mal, dass jedes einzelne AID-System genau untersucht wurde, um evidenzbasierte Empfehlungen für den Einsatz im Sport zu geben.“

Kompakte Zusammenfassung und konkrete Empfehlungen
Neben allgemeinen Empfehlungen zur Therapieanpassung beim Sport gibt das Positionspapier in separaten Kapiteln spezifische Hinweise für jedes kommerziell verfügbare AID-System. „Es war anfangs innerhalb unseres Autorenteams durchaus umstritten, ob wir wirklich produktspezifische Empfehlungen geben sollten. Doch letztendlich ist es das, was die Menschen brauchen“, findet Prof. Moser und meint damit sowohl Menschen mit Diabetes als auch ihre Behandlungsteams. „Angesichts der Produktvielfalt ist es für Gesundheitsfachkräfte ja gar nicht mehr möglich, sich intensiv mit der Literatur und den Manuals zu jedem einzelnen AID-System zu befassen.“ Das Positionspapier bietet eine kompakte, evidenzbasierte Zusammenfassung und konkrete Handlungsempfehlungen, an denen sich Menschen mit Diabetes und ihre Diabetesteams im Alltag orientieren können.

Empfehlungen für die Verwendung des AID-Systems mylife CamAPS FX zur Kontrolle der Glukosewerte bei körperlicher Aktivität. | The International Society of Pediatric and Adolescent Diabetes and the European Association for the Study of Diabetes 2024. Distributed under the terms of the CC BY 4.0 Attribution License (creativecommons.org/licenses/by/4.0/).

Produkt-Updates sind wahrscheinlich kein Problem
Prof. Moser geht davon aus, dass die grundsätzlichen Empfehlungen des Positionspapiers auch bei künftigen Produkt-Updates nicht obsolet werden: „Wenn man sich die Historie der kommerziell verfügbaren Systeme anschaut, gab es seit der Markteinführung der einzelnen Pumpen keine wesentlichen Produktveränderungen. Deshalb sind wir uns sicher, dass es auch bei den einzelnen AID-Systemen nur wenig substanzielle Veränderungen geben wird.“

Das Interesse an den Praxisempfehlungen ist groß: „Wir bekommen täglich zahlreiche Anfragen nach den Charts zu den einzelnen Systemen – genau hier besteht also der größte Informationsbedarf“, betont der Experte. Er nutzt die Charts selbst, wenn er in der Bayreuther Lifestyle-Ambulanz Menschen mit Diabetes zur Therapieanpassung beim Sport berät: „Ich frage sie zunächst immer, welches AID-System sie nutzen – und dann, welches ihr Hauptproblem bei körperlicher Aktivität ist.“ Dann gehe er das Chart zum jeweiligen AID-System mit ihnen durch und erarbeite gemeinsam mit ihnen einen Lösungsansatz. „Wir geben den Patienten dann einen Ausdruck des Charts für ihr AID-System mit, damit sie im Alltag selbst damit arbeiten und ihre Strategie individuell weiterentwickeln können.“

Praxisnahe Abbildungen für jedes AID-System
Im Positionspapier wird für jedes einzelne AID-System aufgezeigt, wie man im Menü zum Sportmodus gelangt. Darüber hinaus zeigt ein Kreisdiagramm – wie hier im Beispiel das für mylife CamAPS FX – welche Besonderheiten bei dem jeweiligen Algorithmus in Bezug auf geplante und ungeplante sportliche Aktivitäten zu beachten sind:

  • Wann sollte der Sportmodus gestartet werden?
  • Welche Glukosezielwerte sollten vor Sportarten mit unterschiedlicher Belastungsintensität eingestellt werden?
  • Wie viele Kohlenhydrate sollten bei welchem Glukoseausgangswert vor bzw. während sportlicher Aktivität zugeführt werden?

Derzeit liegen die Kreisdiagramme wie auch das Positionspapier auf Englisch vor, eine deutsche Fassung ist in Zusammenarbeit mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der Österreichischen Diabetes Gesellschaft geplant.

Obwohl man sich in dem Positionspapier ganz gezielt Informationen zu den einzelnen AID-Systemen herauspicken kann, empfiehlt Prof. Moser seinen Kolleg*innen, es tatsächlich einmal komplett durchzulesen. Denn es basiert auf einer umfassenden Analyse der verfügbaren Evidenz und den eigenen Forschungsarbeiten der Autor*innen. „Die wichtigsten Studien, die wir herangezogen haben, befassen sich mit der Frage, wann der Sportmodus eines AID-Systems aktiviert werden sollte und wie die Kohlenhydratzufuhr beim Sport angepasst werden muss“, erläutert er.

Noch offen bleibt aus seiner Sicht die Frage, inwieweit es bei der AID-Nutzung angezeigt ist, nach dem Sport weniger prandiales Insulin zuzuführen. „Es gibt zumindest Hinweise darauf, dass das nicht bei allen AID-Systemen nötig ist. Man scheint aber keinen Nachteil zu haben, wenn man nach dem Sport einen reduzierten Bolus abgibt.“

Antje Thiel

Literatur:
Moser O et al. Diabetologia 2025 Feb; 68(2): 255-280; doi: 10.1007/s00125-024-06308-z