„Werde für gerechte und effektive Diabetesversorgung plädieren“
HEIDELBERG. Ende Mai hat Professor Julia Szendrödi ihr Amt als DDG Präsidentin angetreten. Welche Schwerpunkte möchte sie setzen? Was treibt sie an und was möchte sie erreichen?

Frau Professor Szendrödi, was hat Ihre Leidenschaft für die Diabetologie entfacht?
Prof. Szendrödi: Im Endeffekt das Interesse an der Grundlagenforschung. Ich habe Medizin studiert, wusste aber immer, ich möchte auch etwas in der Forschung machen. Zu Anfang war ich unschlüssig und bin in der Elektrophysiologie gelandet. Das war eher Zufall und ich habe dann überlegt, in welche Richtung es klinisch gehen soll. Für mich war dann klar: Es sollte in die Innere Medizin gehen, denn der Kontakt zu den Patient*innen und die Sprechende Medizin haben mich schon immer interessiert, auch vor dem Studium schon. Am Pharmakologischen Institut in Wien hat mir dann eine Professorin gesagt: Professor Roden [heute am DDZ tätig, Anm. d. Red.] fördert junge Medizinerinnen und verbindet Klinik und Forschung, sprich den mal an. So bin ich zur Diabetologie gekommen.
Woran denken Sie bei Ihrer neuen Aufgabe als DDG Präsidentin?
Prof. Szendrödi: Ich bin gefragt worden, ob ich dieses Amt übernehmen möchte, und habe mich darüber sehr, sehr gefreut. Ich war schon immer aktiv in der Deutschen Diabetes Gesellschaft, die mich begleitet hat, seit ich in Deutschland bin. Also DDG an und für sich fand ich immer gut!
Die Vorstandsarbeit ist getragen durch eine tolle Geschäftsstelle, die einen ganz anderen Job macht als ich als klinisch tätige Diabetologin und Wissenschaftlerin. Das heißt, ich sehe im neuen Amt Seiten, die wichtig sind, aber für die ich bis jetzt noch keine Kapazität hatte – also gesundheitspolitische Aspekte der Diabetesversorgung, Themen wie Verhältnisprävention und transsektorale Versorgung des Diabetes. In der Uniklinik hat man natürlich Kooperationen mit peripheren Krankenhäusern und Niedergelassenen – deren Probleme noch besser zu verstehen und gemeinsam zu überlegen, was zu tun ist – das war eine gute Vorausschau und für mich ein Grund, auf jeden Fall mittun zu wollen. Jetzt ist es so, dass man erst einmal zwei Jahre Vizepräsidentin ist, in dieser Zeit herangeführt wird an das Präsidentenamt, die Leute kennenlernt und sieht, wie Themen aufkommen, auf die man reagieren muss, und wie man auch die Möglichkeit hat, andere Themen in den Vordergrund zu spielen. Ich habe die anderen im Vorstand kennengelernt und gesehen, wie schön man hier zusammenarbeiten kann.
Jede Präsidentin, jeder Präsident der DDG setzt eigene Akzente. Was haben Sie sich vorgenommen?
Prof. Szendrödi: Natürlich kommen tagespolitische Themen auf, die man bedienen muss. Aber selbstverständlich habe ich auch eigene Anliegen. Einer meiner Schwerpunkte ist die klinische Diabetesversorgung. Und da das Amt auch gesundheitspolitisch einen Auftrag hat, werde ich versuchen, es zu nutzen, um für eine gerechte und effektive Diabetesversorgung zu plädieren. Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem, auch ein sehr teures, wir sind aber nicht unbedingt sehr effektiv, insbesondere in der Umsetzung der Leitlinien.
Eine Vision wäre, dass wir am Outcome orientierte Vergütungsmodelle haben, sodass wir nicht fragen: Was können wir uns leisten?, sondern: Was müssen wir uns leisten und wie viel kostet das, was wir tun müssen, um die Lebensqualität und Lebenserwartung der Menschen mit internistischen Erkrankungen und insbesondere Diabetes zu verbessern? Dieses Anliegen hat schon Professor Fritsche verfolgt.
Ein weiteres Anliegen ist die Verhältnisprävention. Mir gibt es immer einen Stich, wenn es heißt: Die Menschen mit Diabetes und Adipositas sind selbst verantwortlich. Ja, bis zu einem gewissen Grad, aber wir müssen die Lebensbedingungen optimieren, sodass es den Leuten leichter fällt, sich gesund zu ernähren, sich ausreichend zu bewegen, den Diabetes zu vermeiden und mit dem Diabetes ein gutes Leben zu führen. Das sind unbeliebte politische Themen, weil die Umsetzung länger dauert als eine Legislaturperiode. Aber auch dafür muss man das Amt nutzen. Wir arbeiten da sehr eng mit DANK zusammen. Das fängt an bei der Kinderbildung: Welches Essen wird gegeben? Aber nicht nur in den Kitas und Schulen ist das ein Thema, sondern auch in den Krankenhäusern – dass wir uns gesundes Essen nicht leisten können und teilweise auch gar kein Konzept haben. Malnutrition in den Krankenhäusern, bei Adipositas und bei Typ-2-Diabetes, ist ein Riesenproblem.
Ein Thema, das mich sehr bewegt, ist die soziale Ungerechtigkeit bei der Verhinderung von Komplikationen des Diabetes und bei der Behandlung. Man muss untersuchen, woran das liegt und welche Maßnahmen helfen können, um diese Ungerechtigkeiten zu kompensieren. Das führt dann auch schon hin zu einem wissenschaftlichen Thema, denn mein Forschungsschwerpunkt ist die Präzisionsmedizin, die ja Hand in Hand geht mit der Prävention von Diabetes und Komplikationen.
Sie sind nach Prof. Monika Kellerer die zweite Präsidentin. Was bedeutet das für Sie – und für die DDG?
Prof. Szendrödi: Dass ich die zweite bin, freut mich sehr, war mir aber erst mal gar nicht bewusst. In Heidelberg war ich in einer ähnlichen Situation als erste Frau in der Inneren Medizin, die einen Lehrstuhl übernommen hat. Die jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Klinikerinnen sehen das sehr wohl und finden es gut – also, das bewirkt schon etwas. Es geht da nicht nur ums Frau-Sein, sondern auch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Meine Rolle zu nutzen, dass auch Männer in die Position kommen, Beruf und Familie zu vereinbaren und das in der eigenen Klinik vorzuleben, ist schon auch ein Auftrag. Grundsätzlich ist die DDG sehr offen, Frauen zu fördern, und die Diabetologie und Endokrinologie ist an und für sich ein weibliches Fach – nur in den Leitungspositionen dünnt sich das aus. Ich glaube, dass zum zweiten Mal eine Frau der DDG vorsteht, ist ein gutes Signal für den Nachwuchs.
Noch einmal zu Prävention und Präzisionsmedizin: Wie könnten Forschungsergebnisse schneller in die Versorgung kommen?
Prof. Szendrödi: Was immer mehr kommt und auch gefordert wird, ist, dass man Patient*innen einbezieht in die Forschung und dass wir von vornherein erklären, was der Nutzen sein und wie der Transfer ablaufen soll. Ich glaube, es ist schon ein Problem, wenn wir in unserem Elfenbeinturm forschen und nichts davon an die Öffentlichkeit dringt – dann ist die Latenz einfach zu groß, bis diejenigen profitieren, die davon profitieren sollen. Und: Dann ist auch niemand da, der mit uns aus der Forschung fordern kann, dass etwas politisch umgesetzt wird. Wir sollten viel stärker nutzen, dass wir eigentlich alle dasselbe Ziel haben, nämlich die Versorgung des Diabetes und die Verhinderung von Komplikationen voranzutreiben.
Frau Professor Szendrödi, wie entspannen Sie vom Berufsalltag?
Prof. Szendrödi: Ich treibe Sport. Mein Tag ist ziemlich voll mit Terminen. Ich sitze sehr viel. Wenn ich nach Hause komme, gehe ich jetzt im Sommer mit den Kindern erst einmal aufs Trampolin. Ich gehe auch zum Kraftsport und mache Ausdauersport. Es ist wichtig für mich, stark zu sein, mich stark zu fühlen. Ich schöpfe so Kraft für lange Arbeitstage und habe das Gefühl, für mich selbst etwas zu tun.
Interview: Günter Nuber, Nicole Finkenauer