Weniger bringt mehr
BERLIN. Einmal täglich, einmal wöchentlich oder nur einmal monatlich – die Entwicklung und Anwendung von Arzneimitteln mit längerer Wirkdauer nach Einmalapplikation schreitet
voran. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus und welche Präferenzen haben Menschen mit Diabetes?

Professor Dr. Thomas Forst, Mainz, führte Belastungen durch die Applikationsfrequenz auf, die „in vielen Köpfen drin sind“. Häufige Insulininjektionen seien belastend, unangenehm und trügen zur Verzögerung klinischer Maßnahmen und geringer Adhärenz bei. Sowohl Menschen mit Diabetes als auch Ärzt*innen bevorzugten weniger Injektionen zum Erreichen der glykämischen Ziele. Im Vergleich zur täglichen Gabe von Medikamenten werde eine einmal wöchentliche Anwendung als angenehmer empfunden und ermögliche eine bessere Adhärenz. Über zehn Jahre gerechnet könne man dabei ca. 3.000 Injektionen einsparen, rechnete Prof. Forst vor.
Schlimmer als z. B. die Dicke/Länge der Applikationsnadel oder Schmerzen an der Einstichstelle empfänden Patient*innen tatsächlich die Injektionsfrequenz – das sei aus den Daten einer Studie aus 2016 hervorgegangen. Da eine geringere Adhärenz mit schlechter glykämischer Kontrolle, mehr Hospitalisierungen, diabetesbedingten Komplikationen und höheren Gesundheitskosten verbunden ist, seien Strategien zur Verbesserung der Therapieadhärenz gefragt.
Patientenpräferenzen auf dem Prüfstand
Prof. Forst erläuterte anhand einer Metaanalyse zu inkretinbasierten Therapien, dass das Risiko der Nicht-Adhärenz bei einer Gabe 1 x/Woche (versus 1 x/Tag) deutlich geringer ist. Er erinnerte an die Diskussion vor der Einführung der einmal wöchentlichen Gabe von GLP1-RA und die Sorge, dass unter diesem Therapieregime die Injektion vergessen werden könnte. Das sei nicht eingetreten, außerdem habe die STAY-Studie eine bessere Adhärenz und Stoffwechselkontrolle durch die wöchentliche Medikation belegt. Der Unterschied in der Stoffwechselkontrolle komme zum Tragen, wenn mindestens eine Adhärenz von 80 % der Injektionen erreicht werde. Dieser Unterschied verschwinde, wenn die Adhärenz unter 80 % fällt – „dann scheint es egal zu sein, ob man einmal wöchentlich oder einmal täglich injiziert“.
Aber ganz so einfach scheine es mit den Präferenzen dann doch nicht zu sein. In der REVISE-Studie habe ein Großteil der 600 Teilnehmenden mit Typ-2-Diabetes zunächst die Option der „1 Tablette/Tag“ gegenüber „1 Injektion/Woche“ bevorzugt. Nach der Betrachtung von produktspezifischen Schulungsvideos seien die Probandenanteile, die die einzelnen Optionen präferierten, statistisch nicht mehr unterschiedlich gewesen.
Einmal wöchentliche Basalinsuline – für alle geeignet?
Werden sich einmal wöchentliche Insuline durchsetzen? Prof. Forst erläuterte die Wirkweise des ersten in Deutschland zugelassenen Wocheninsulins:
- Nach der Injektion von Insulin icodec zerfallen die Insulin-Hexamere relativ rasch zu einzelnen Insulinmolekülen (Monomeren), die an Albumin binden bzw. in die Blutbahn gelangen, dort an Albumin binden und sich im Körper verteilen.
- So entsteht mit Hilfe des körpereigenen Albumins ein zirkulierender Insulinspeicher. (Es gibt also kein subkutanes Insulindepot.) Vom Albumin lösen sich stetig einzelne Insulin-icodec-Moleküle, die dann an Insulinrezeptoren im Zielgewebe binden. Insulin icodec nutzt dafür weniger als 0,1 % des natürlichen Insulinspeichers.
- Eine Woche lang wird nun gleichmäßig Insulin freigesetzt.
Nach drei bis vier einmal wöchentlichen Injektionen werde ein Steady State erreicht und die Wirkstofffreisetzung verlaufe dann „annähernd gleichmäßig“ über sieben Tage. In den diversen ONWARDS-Zulassungsstudien habe sich eine vergleichbare Stoffwechselkontrolle (HbA1c) wie unter einmal täglicher Insulingabe gezeigt. Beim Typ-2-Diabetes, sowohl mit Insulinerfahrung als auch insulinnaiv, zeigte sich keine erhöhte Hypoglykämiegefahr.
Anders sieht es beim Typ-1-Diabetes aus: Die geschätzte Rate für klinisch relevante oder schwere Hypoglykämien (Ereignisse pro Patientenjahre mit Exposition) war in der ONWARDS 6-Studie unter Insulin icodec gegenüber Insulin degludec erhöht. Für das kurz vor der Zulassung stehende Efsitora alfa beschrieb Prof. Forst die Datenlage als vergleichbar.
Neben den potenziellen Vorteilen wie Flexibilität beim Anwendungszeitpunkt, dem stabilen und vorhersagbaren pharmakokinetischen Profil und der verminderten glykämischen Variabilität (während eines Tages und zwischen verschiedenen Tagen) gebe es auch Bedenken, so Prof. Forst. Die wöchentlichen Äquivalenzdosen müssten sowohl für therapienaive als auch für umzustellende Patient*innen berechnet werden. „Der Titrationsalgorithmus ist gewöhnungsbedürftig.“ Das Konzept einer einmaligen Startdosis (Load-Dosis) könne Vorbehalte hervorrufen.
Wie geht die Entwicklung weiter? Prof. Forst rechnet damit, dass es sowohl für Insulin als auch für Inkretine eine einmal monatliche Applikation geben wird. Und die vierteljährliche Applikation? „Ich denke, auch das ist etwas, was durchaus in Entwicklungen drinsteckt.“
Dr. Karin Kreuel
Diabetes Kongress 2025