»Zahl der stationären Patienten wird erheblich unterschätzt«
Berlin. Eine Studie unter Leitung der Universität Ulm zeigt, dass knapp jeder fünfte stationäre Patient hierzulande an Diabetes leidet. Das Ergebnis spiegelt nicht nur den Versorgungsbedarf im Krankenhaus wider, sondern offenbart auch Diskrepanzen zu den bisher publizierten Fallzahlstatistiken.
Die Studie der Universität Ulm befasst sich mit den hospitalisierten Diabetesfällen in einem Alter ab 20. „In den Jahren 2015 bis 2017 hatten mehr als 18 % der jeweils rund 16,5 Millionen stationär aufgenommenen Fälle eine Haupt- oder Nebendiagnose Diabetes“, erklärt die Erstautorin Marie Auzanneau, MPH. Von den insgesamt rund 3,1 Millionen Krankenhausfällen mit Diabetes im Jahr 2017 litten mehr als 2,8 Millionen an Typ-2-Diabetes.
„Auffällig war, dass die Verweildauer und Sterblichkeit unter den Krankenhausfällen mit Diabetes höher lag als bei denjenigen ohne Diabetes“, so Professor Dr. Reinhard W. Holl. Es habe sich zudem gezeigt, dass die Prävalenz des Diabetes doppelt so hoch lag wie bei der Allgemeinbevölkerung. „Das belegt die hohe diabetesassoziierte Sterblichkeit und verdeutlicht den erheblichen stationären Versorgungsbedarf von immer älter werdenden multimorbiden Diabetespatienten“, betont Prof. Holl.
Erfassung der Diabetesfälle an die COVID-19-Zählung anlehnen
Es wird zudem unterschätzt, dass Diabetes neben Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern eine der häufigsten Nebendiagnosen bei stationär behandelten Patienten ist. Das zeigt die DRG-Statistik von 2016, eine jährliche Vollerhebung aller nach Fallpauschalen abgerechneten, vollstationären Klinikfälle in Deutschland. „In vielen bisher publizierten Statistiken wird lediglich die Hauptdiagnose Diabetes aufgeführt, aber das spiegelt das reale Bild nicht wider“, erklärt Professor Dr. Andreas Fritsche, Sprecher der Kommission Epidemiologie und Versorgungsforschung der DDG. „Die Gesamtzahl der stationären Diabetespatienten wird erheblich unterschätzt, denn Patienten mit Nebendiagnose Diabetes werden in den veröffentlichten Daten oft nicht mit einbezogen. Die aktuelle Ulmer Studie zeigt, dass die reale Zahl der stationären Diabetespatienten 15-mal höher liegt als in manchen Publikationen. Ihre Versorgung im Krankenhaus ist aber genauso aufwendig, sie brauchen ebenso wie Patienten mit Hauptdiagnose Diabetes eine qualifizierte Therapie“, so Prof. Fritsche.
Am Beispiel der COVID-19-Fallzahlen zeige sich, wie unterschiedlich bei der Erfassung und Berichterstattung vorgegangen werde, sagt der Diabetologe. Vom Robert Koch-Institut (RKI) werde jeder per PCR-Test positiv getestete hospitalisierte Patient als COVID-19-Fall erfasst, dabei sei ein nicht unerheblicher Teil dieser Patienten wegen einer anderen Hauptdiagnose ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es stelle sich die Frage, warum das bei Diabetespatienten nicht ebenso gemacht werde. „Bisher berichtet das RKI bei den stationären Diabeteszahlen nur von Patienten mit einer Hauptdiagnose – dies ergibt aber ein einseitiges Bild. Ich bitte deshalb das RKI, die Berichterstattung nach den gleichen Kriterien durchzuführen, um die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser durch stationäre Diabetespatienten zu erfassen.“
dz
Pressemitteilung der DDG
Auzanneau M et al. Dtsch Arztebl Int 2021; doi: 10.3238/arztebl.m2021.0151