Von Schildkröten lernen
Berlin. Bei der subkutanen Applikation von Insulin gelangt zu viel von dem Hormon in die Peripherie, jedoch zu wenig in die Leber. Spezifischere Insuline oder spezielle Applikationswege sind eine attraktive Lösung – kreative Ansätze gibt es bereits.
„Wir sprechen immer darüber, dass Insuline viel physiologischer geworden sind“, so Dr. Tim Heise, Profil Institut für Stoffwechselforschung in Neuss. Das stimme in Bezug auf die Zeitprofile, aber nicht hinsichtlich des Applikationsortes. Denn endogenes Insulin gelangt als Erstes zur Leber und bremst dort die Glukoneogenese, bevor ein Teil davon Endorgane wie Muskel und Fettgewebe erreicht und die Glukoseaufnahme in Gang setzt. Auf die Leber wirkt dabei zwei- bis dreimal so viel Insulin wie auf die Peripherie, erklärte der Referent.
Die subkutane Gabe dreht den Ablauf quasi um: Erst geht das Insulin ins System, dann in die Leber, sodass die Peripherie relativ über- und die Leber unterinsuliniert wird. „Wie schön es wäre, wenn wir das Insulin direkt in die Leber bringen, ist in Tierversuchen gezeigt worden: Die endogene Glukoseproduktion wird besser supprimiert, gleichzeitig sinkt das Hypoglykämierisiko“, betonte Dr. Heise. Prinzipiell gebe es mehrere Möglichkeiten, das zu erreichen: durch orale bzw. intraperitoneale Applikation oder indem das Molekül so umgebaut wird, dass es spezifisch in der Leber wirkt.
Leberspezifisches Insulin mit Nebenwirkungen
Entsprechende Versuche habe es gegeben, so der Experte: Am weitesten fortgeschritten war die Entwicklung bei Insulin lispro, dem eine Polyethylenglykol(PEG)-Kette angehängt wurde. Dadurch wurde das Molekül so groß, dass es schlecht durch die Tight Junctions der peripheren Gefäßwände passte, wohl aber durch die Poren in den Lebersinusoiden. Die periphere Glukoseutilisation unter dem pegylierten Insulin lispro fiel deutlich geringer aus als unter herkömmlichem Basalinsulin. Auch die klinischen Ergebnisse hinsichtlich HbA1c, Hypoglykämien und Gewicht sahen gut aus, berichtete Dr. Heise.
Allerdings gab es mit einem Anstieg der Transaminasen und mit Fetteinlagerungen unerwünschte Effekte auf die Leber – das bedeutete das Aus. Von einem anderen Designerinsulin war nach recht ansehnlichen Tierversuchen nie wieder etwas zu hören – Humandaten fehlen bis heute. Dr. Heises Fazit daher: Leberspezifische Insuline mögen Potenzial haben, sorgen aber auch für Kopfschmerzen.
Es bedarf einer innovativen Verpackung
Also doch oral verabreichen? Probleme gibt es bekanntlich zuhauf: Die Bioverfügbarkeit ist gering, die Resorption hoch variabel und noch dazu mahlzeitenabhängig. Auch hier bedarf es laut Experte einer innovativen Verpackung. Als vielversprechend galt das orale Basalinsulin- 338, das in einer Vergleichsstudie gegen Insulin glargin mit beeindruckenden Ergebnissen punkten konnte, wie Dr. Heise vorstellte: Das HbA1c sank binnen acht Wochen um fast einen Prozentpunkt, Hypoglykämien kamen selten vor und blieben mild, Signale hinsichtlich schwerer Nebenwirkungen gab es nicht.
Allerdings ist die Bioverfügbarkeit mit unter 2 % so niedrig, dass ungeheure Insulinmengen nötig sind: Um den gleichen Effekt zu erzielen wie mit 1 U Insulin glargin, brauche es fast 60- mal so viel I-338.
SOMA als Insulinträger
Der Panzer der Leopardschildkröte könnte die Lösung bringen: Dieser ist mit einem Buckel ausgestattet, sodass das Tier auf die Füße rollt, sollte es auf dem Rücken landen. Ein entsprechendes Device – Self-Orienting Millimeter-Scale Application (SOMA) genannt – wurde auf dieser Basis entwickelt und soll als Insulinträger fungieren.1 SOMA landet mit der Unterseite an der Magenwand und injiziert dort Insulin. „Eine tolle Idee, und sie funktioniert, zumindest im Schwein“, so Dr. Heise.
Manuela Arand
1. Abramson A et al. Science 2019; 363: 611-615
Diabetes Kongress 2019