Verständigung und Verständnis
Wiesbaden. Jeder vierte Einwohner in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Das hat auch Auswirkungen auf die Kommunikation mit Diabetespatienten in Klinik und Praxis. An geeigneten mehrsprachigen oder bildorientierten Materialien für Beratung und Schulung hapert es aber noch.
Migranten haben häufig, je nach Herkunftsregion, eine deutlich höhere Diabetesmellitus- Prävalenz als die einheimische Bevölkerung. „Ohne Rücksicht auf die kulturellen Besonderheiten und die Sicherstellung der Verständigung kann die Migrantenpopulation aber nicht bedarfsgerecht behandelt werden“, erklärt Faize Berger, Vorsitzende der AG Diabetes und Migranten der DDG.
Nicht immer können Angehörige dolmetschen
Welche Sprache versteht ein Patient auf welchem Level? Wie kann ihm erklärt werden, was die Diagnose Diabetes für ihn und seine Familie bedeutet? Kann überhaupt ein Therapieplan erstellt oder zur Lebensstiländerung beraten werden, ohne zu wissen, welche Ernährungsgewohnheiten der Betroffene hat? Gut ist es, wenn sich im Klinik- und Praxisteam jemand befindet, der die Sprache des Patienten spricht und seine Kultur kennt.
Große Patientengruppen haben heute türkische, osteuropäische oder arabische Wurzeln. Häufig werden Angehörige, die bei Untersuchungen und Schulungen anwesend sein können, gebeten zu dolmetschen. Doch nicht immer ist das möglich, weiß Corinna Lorenz, Diabetesberaterin des Diabetes Zentrums Mergentheim. Problematisch wird es z.B., wenn Kinder übersetzen, die die Zusammenhänge nicht verstehen. Oft sind jedoch Fachdolmetscher nicht schnell verfügbar oder die Kostenübernahme ist nicht immer gesichert.
Aktuelle Liste für ein Dutzend Sprachen
Dann ist es gut, wenn für erste Erklärungen zumindest auf fremdsprachiges Infomaterial zugegriffen werden kann. Auch Abbildungen für Analphabeten, die z.B. die Grundlagen des Blutzuckermessens und einer Insulinpen-Injektion erklären, helfen. So manche Diabetesberaterin und -assistentin wird hier selbst kreativ.
Die AG Diabetes und Migranten sammelt seit 2014 passende Materialien und macht sie zugänglich. Eine Zusammenstellung für über ein Dutzend Sprachen bietet die AG-Homepage (siehe unten). Die von Diabetesberaterin Gabriele Buchholz vom Diabteszentrum Sinsheim initiierte Übersicht wurde von Lorenz aktualisiert. Ein dreiviertel Jahr lang hat sie recherchiert, überprüft und ergänzt. Die DDG spricht von einem„Qualitätssprung“ für die Anwender.
Ziele mit viel Geduld in kleinen Schritten angehen
Doch es bleiben weiße Flecken. Fremdsprachige Bedienungsanleitungen für Medizingeräte gebe es z.B. fast nur in Englisch, sagt Lorenz. Auch mangelt es an wissenschaftlich evaluiertem Infomaterial, sieht man von fremdsprachigen Varianten von Schulungsprogrammen ab.
Die AG ist in Kontakt mit Organisationen, Unternehmen und Kooperationspartnern, um notwendige Aufklärungsmedien – möglichst anbieterneutral und künftig auch wissenschaftlich evaluiert – verfügbar zu machen. Eine bundesweite Abfrage, welche Sprachkompetenzen in den Diabetesteams vorhanden sind und ob diese von anderen mitgenutzt werden könnten, steht auf der Agenda. Hier hofft man sehr auf die Zusammenarbeit mit dem VDBD.
Soziokulturelle Eigenheiten beachten
Allerdings ist die Sprache nur eine Voraussetzung für eine gelingende Kommunikation. Die Beachtung soziokultureller Eigenheiten ist ebenso wichtig. Manche Männer haben z.B. ein Problem damit, Therapievorschläge von einer Frau – hier: Diabetesberaterin oder -assistentin – zu akzeptieren, berichtet Lorenz. Oder sie verstehen sich als der Gesprächspartner, über den allein die Kommunikation mit der Ehefrau und Patientin laufen sollte.
Wird die Erkrankung als schicksalhafte Gottesprüfung angesehen, leidet die Therapietreue darunter. Gruppenschulungen werden eher gemieden, weil man sich dort unwohl fühlt. Die Umstellung von familiären Ernährungsgewohnheiten fällt selbst Kindern der dritten und vierten Einwanderergeneration schwer, berichtet Lorenz.
Ziele könnten in nur kleinen Schritten angegangen werden. „Man braucht viel Geduld“, sagt die Diabetesexpertin. Das koste personelle Ressourcen in Klinik und Praxis; extra bezahlt werde der Mehraufwand allerdings nicht.
Michael Reischmann
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