Geschafft: Der Nutri-Score kommt
Berlin. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat endlich die Nährwertkennzeichnung nach Nutri-Score für Deutschland angekündigt. Dies sei„eine valide Entscheidung in einer Debatte, die seit über einem Jahrzehnt sehr emotional – teils auch polarisierend – geführt wird“, sagte sie. 2020 soll die Markteinführung erfolgen
Seit Jahren fordern Verbraucherschützer, Ärzte- und Patientenverbände nachdrücklich mehr Transparenz bei Inhaltsstoffen verarbeiteter Lebensmittel. Zwar gibt es Nährwerttabellen und Zutatenlisten, doch die sind meist in Miniaturschrift auf den Verpackungen zu finden. Und „auch wenn Sie wissen, welche Menge Fett, Zucker und Salz in einem Produkt steckt, sagt das noch nichts darüber, ob das nun viel oder wenig ist“, bringt die Verbraucherzentrale das Problem auf den Punkt. Zudem sind die Angaben auf 100 Gramm bezogen, das Umrechnen auf Mahlzeiten ist schwierig.
Andere Länder als Vorbild
Andere Länder machen längst vor, wie sich auf einen Blick gesunde von eher ungesunden Lebensmitteln unterscheiden lassen. Das Ganze nennt sich Nutri-Score, eingeführt 2016 in Frankreich, später übernommen von Belgien, Spanien, Portugal, Schweiz und Luxemburg.
Die Produkte werden je nach Nährwert auf der Verpackungsfront auf einer Skala von A bis E gekennzeichnet – vom grünen „A“ für günstige Nährwerte bis zum roten „E“ für ungünstige Nährwerte. Basis der Bewertung bilden die Mengen der Inhaltsstoffe je 100 Gramm bzw. 100 Milliliter des Produkts, so wie sie auch in den Nährwerttabellen gelistet sind.
Versorgungsstudie zeigt große Zustimmung zum Nutri-Score
Berücksichtigt werden negative Auswirkungen auf die Gesundheit durch einen hohen Energiegehalt und einen zu großen Anteil an Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz (0–10 Punkte) sowie positive Wirkungen durch den Ballaststoff- und Eiweißgehalt und den Anteil an Obst, Gemüse und Nüssen (0–5 Minuspunkte). Dabei ergibt sich eine Gesamtpunktzahl, die einer der Bewertungen auf der Skala A-E entspricht. Für Getränke, Käse, Butter und Pflanzenöle gelten Sonderregelungen.
Obwohl in zahlreichen Studien der Nutzen belegt werden konnte, hatte sich CDU-Politikerin Klöckner lange dem Nutri-Score verweigert. Unterstellt wurde ihr deshalb vielfach eine zu große Nähe zu Produzenten und mangelnder Verbraucherschutz.
Erst als die von ihr initiierte repräsentative Bevölkerungsbefragung eine Zustimmung von 57 % für den Nutri-Score ergab, lenkte sie ein. Das von Klöckner präferierte Modell des Max Rubner-Instituts folgte mit 28 % der Stimmen auf Platz 2 von insgesamt vier Modellen zur Auswahl.
Notwendig sind jedoch noch weitere politische Schritte
Auch die DDG forderte angesichts steigender Zahlen an Patienten mit Übergewicht und oftmals daraus resultierendem Diabetes Typ 2 seit Langem die Einführung des Nutri-Scores. Geschäftsführerin Barbara Bitzer zeigt sich deshalb zufrieden mit der ministeriellen Entscheidung: „Wir begrüßen die Einführung sehr.“ Es sei ein Beitrag, gesunde Ernährung zu fördern.
Sie mahnt aber zugleich, dass der Nutri-Score nur einer von mehreren Bausteinen ist. Notwendig seien „weitere Schritte, unter anderem ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Produkte, wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt“. Die rechtliche Umsetzung des Nutri-Scores wird voraussichtlich bis Ende April 2020 brauchen.
Erweiterte Nährwertkennzeichnung langfristiges Ziel
Die Ministerin will dem Bundeskabinett dafür einen Verordnungsentwurf vorlegen. Ziel ist eine sog. erweiterte Nährwertkennzeichnung. Damit sind laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft „freiwillige Angaben zusätzlich zu den bereits bestehenden Pflichtkennzeichnungen eines vorverpackten Lebensmittels“ gemeint. Alle bisherigen, verpflichtenden Kennzeichnungen der Nährwerte, namentlich die Nährwerttabelle, sollen erhalten bleiben.
Die Frage ist, inwieweit die Industrie die freiwillige Kennzeichnung übernimmt. Zwar gibt es Vorreiter wie den Konzern Nestlé, der spätestens zum Jahresende Nutri-Score verwenden will. Und auch Hersteller wie Iglo, Danone und Bofrost haben das Mitziehen angekündigt.
Positive Entwicklungen in Frankreich
Philipp Hengstenberg, Präsident des Spitzenverbands der deutschen Lebensmittelwirtschaft, bemerkt jedoch, es gebe „aus wissenschaftlicher Sicht Zweifel, dass bewertende Systeme geeignet für eine vereinfachte Nährwertkennzeichnung seien“. Mit Verweigerern ist somit zu rechnen.
In Frankreich ist die Verwendung des Labels zwar auch freiwillig. Die Gesundheitsbehörde Santé publique France kontrolliert jedoch die richtige Verwendung. Und Produzenten können für falsche Kennzeichnungen bestraft werden. Dennoch haben inzwischen zahlreiche Lebensmittelunternehmen ihre Rezepturen verbessert, auch Händler orientieren sich am Nutri-Score.
Verbraucher essen mehr Obst und Gemüse, weniger Fett
Der entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Umsetzung des Nutri-Score-Labels wird jedoch der Verbraucher sein. Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) verwies im August auf eine Studie der Universitäten Paris, Grenoble und Borbigny*. Nach dieser essen die Menschen durch Nutri- Score mehr Obst (+12,4 %), Gemüse (+5,4 %) und Ballaststoffe (+7,2 %) und weniger gesättigte Fettsäuren (-29,9 %) und Salz (- 4,1 %). Die Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs lassen sich damit um 3,4 % senken.
Besser wäre Pflicht statt Freiwilligkeit
Doch kann das Nutri-Score-Labeling aber auch helfen, den auf Deutschland zurollenden Diabetes- Tsunami zu stoppen? Professor Dr. Hans Hauner, Diabetologe DDG und Ernährungsmediziner, ist zuversichtlich: „Die Einführung des Nutri-Scores bietet tatsächlich die Chance, dass sich Verbraucher insgesamt etwas gesünder ernähren – wie bereits gezeigt – und dass damit das Diabetesrisiko gesenkt wird. Wenn der Nutri-Score aber eine freiwillige Angelegenheit der Hersteller bleibt, wird es vermutlich lange dauern, bis sich dies bemerkbar macht. Besser wäre daher eine Verpflichtung und überhaupt weitere Maßnahmen, um schnellere und stärkere Effekte zu erzielen.“
Cornelia Kolbeck
* Modelling the impact of different frontof- package nutrition labels on mortality from non-communicable chronic disease