Digitalisierung im Eiltempo
Berlin. Ca. die Hälfte der 32 500 Kinder und Jugendlichen mit Diabetes Typ 1 trägt eine digitale Insulinpumpe. Bei den unter Fünfjährigen sind es 90 %. Eltern und Erzieher sind darüber froh.
Mütter, die wegen der Diabetes-Typ-1-Erkrankung ihres Kindes unter Depressionen litten, erholten sich davon wesentlich schneller, wenn die Kinder initial mit einer Insulinpumpe statt Spritzen behandelt wurden, berichtet Professor Dr. Thomas Danne, Chefarzt am Kinderkrankenhaus auf der Bult, Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche Hannover. Denn die Betroffenen und ihre Angehörigen sind so unabhängiger und eigenständiger. Auch sei beim Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen die Hemmschwelle, eine Insulinpumpe zu bedienen, geringer, als wenn es Insulin spritzen müsse.
Zeit im Zielbereich wird zum wichtigen Parameter
Prof. Danne verweist ferner auf eine Auswertung des Kinder-Diabetes-Registers aus Deutschland, Österreich und Luxemburg. Demnach traten bei den 14 119 jungen Pumpenträgern deutlich seltener schwere Hypoglykämien oder diabetische Ketoazidosen auf als bei den 16 460 Patienten der Spritzentherapie.
Wegen der alterstypischen Stoffwechselschwankungen haben für junge Menschen mit Typ-1-Diabetes Neuentwicklungen wie die kontinuierliche Glukosemessung (CGM), das Flash Glucose Monitoring (FGM) und die sensorunterstützte Pumpentherapie (SuP) eine besondere Bedeutung erlangt. 2017 nutzten 6570 Kinder und Jugendliche (unter 20 Jahren) eine SuP mittels CGM oder FGM.
Für den Arzt wird die Bestimmung der Zeit im Zielbereich (TiR) mittels CGM/FGM zum wichtigen Parameter bezüglich der Stabilität der Glukoseeinstellung und für Therapieentscheidungen, was im HbA1c-Wert nicht oder nur unzureichend abgebildet werde, so Prof. Danne.
Der Wunsch der Patienten nach einer künstlichen Bauchspeicheldrüse wächst. Doch es sei noch nicht abzusehen, wann diese Systeme in Deutschland erhältlich sein werden, erklärt der Diabetologe. Zwar gebe es nun auch in Europa ein sog. Hybrid-Closed-Loop-System mit automatisch geregelter Basalinsulingabe. Die Regulationsbehörden hielten mit diesem "Hochgeschwindigkeitsprozess" aber nicht Schritt.
Manche Patienten nehmen deshalb die Initiative selbst in die Hand. So etwa Stephanie Haack, die als Bloggerin und Autorin über ihr Leben mit Typ-1-Diabetes berichtet. Sie trägt ein selbst gebasteltes Closed-Loop-System. "Ich bin mir der Risiken bewusst", sagt sie. Aber der Gewinn an Lebensqualität sei es wert. "Durch die Digitalisierung hat sich mein Alltag komplett geändert. Endlich kann ich durchschlafen."
Nachfrage nach eAkte, eRezept und einer Videosprechstunde
Und sie sieht noch viel Potenzial: Die Digitalisierung solle helfen, sich weniger mit der Krankheit beschäftigen zu müssen. Haack stört, wie viel Energie sie noch für Dinge ohne Mehrwert aufbringen muss: Warum muss man zur Diabetespraxis fahren, wenn sich Alltägliches auch per Videochat besprechen lässt? Wann können Rezepte automatisch an eine Apotheke oder einen Händler geschickt werden? Das Sammeln und Mitschleppen von Ausdrucken könnte entfallen, wenn Werte in elektronischen Patientenakten zugänglich wären.
Souveränität über die Daten
An diesen Themen sind bekanntlich das Bundesgesundheitsministerium (BMG), Krankenkassen, Apotheker- und Ärzteschaft sowie andere dran. Über 100 000 Versicherte nutzen derzeit eine Beta-Version der elektronischen Gesundheitsakte der Techniker Krankenkasse, berichtet Klaus Rupp, Fachbereichsleiter Versorgungsmanagement bei der TK. Die eAkte soll den Versicherten als Aufbewahrungsort und zur Kommunikation dienen. Sie erhalten damit Souveränität über ihre Daten.
Beim Test machen laut Rupp 17 Krankenhäuser mit. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die das System KV-Connect nutzen, können sich ebenfalls beteiligen. TK und AOK seien sich einig, Schnittstellen zu verwenden, die es Ärzten und Kliniken erlauben, mit beiden Akten zu kommunizieren. Auch deren Portabilität für den Fall eines Kassenwechsels werde sichergestellt.
Die TK kooperiert bei ihrer eAkte mit IBM. Die Daten lägen auf deutschen Servern, es würden höchste Standards eingehalten, so Rupp. Dennoch gebe es keine 100-prozentige Sicherheitsgarantie. Darum sollte der Versicherte für den Fall, dass er sein Handy mit der eAkte verliert, den Wiederherstellungsschlüssel separat und sicher verwahren.
Versicherte können die Angaben von Ärzten und Krankenkassen nicht ändern. Allerdings können sie entscheiden, wem sie welche Daten offenlegen und ob etwas eingestellt oder gelöscht wird. Die TK schaue nicht in die eAkte. "Wir stellen den Tresor zur Verfügung. Aber wir haben dafür keinen Schlüssel." Als Service werden den Nutzern u.a. Erinnerungen an Vorsorgeuntersuchungen, Wechselwirkungchecks und Barcodescanner für eine einfache, sichere Nutzung angeboten.
Standards gemeinsam besprechen und definieren
Laut BMG sollen alle Krankenkassen bis 2021 ihren Versicherten gratis und freiwillig eine elektronische Patientenakte auf Basis der Spezifikationen der Gematik anbieten. Die Anforderungen an die medizinischen Inhalte soll die Kassenärztliche Bundesvereinigung festlegen. Nino Mangiapane, für Telematik und eHealth zuständiger Referatsleiter im BMG, hält es für "klug", wenn dabei der Sachverstand derjenigen eingebunden wird, die dazu Wesentliches beitragen können.
Die DDG will sich hier einbringen, macht Präsident Professor Dr. Dirk Müller-Wieland klar. "Wir haben das Selbstverständnis als Fachgesellschaft, dass diese Kompetenz bei uns liegt."
Jahrespressekonferenz der DDG