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BERLIN. Kommen psychiatrische Erkrankungen und Typ-1-Diabetes zusammen, bedürfen Patient*innen besonderer Aufmerksamkeit.
In einer typischen Schulklasse mit 30 Schüler*innen gelten etwa 20 % der Kinder als psychiatrisch „auffällig“. Nicht selten erfüllen sie sogar mehrere Diagnosekriterien, berichtete Dr. Michael Meusers von der Kinder- und Jugendpsychiatrie Witten-Herdecke. Der häufigste Grund für eine kindliche Intelligenzminderung sei das fetale Alkoholsyndrom (FAS). Sein Rat, wenn diese Kinder Typ-1-Diabetes haben: „Weitere Schulungen bringen nicht viel. Sorgen Sie dafür, dass sich lebenslang andere Personen um die Therapie des Typ-1-Diabetes kümmern!“
Von ADHS sind immerhin 5 % der Bevölkerung betroffen. Mit Blick auf Daten aus dem DPV-Register betonte Dr. Meusers, dass ADHS bei knapp der Hälfte der betroffenen Kinder mit Typ-1-Diabetes nicht erkannt wird. Selbst wenn ADHS und T1DM diagnostiziert sind, treten aufgrund der Impulsivität bei der Selbstversorgung mehr Komplikationen auf (erhöhte HbA1c-Werte, doppelt so häufig Ketoazidosen wie bei Personen ohne Störung der Steuerungsfähigkeit). ADHS führe zu hoher Ablenkbarkeit, fehlender Daueraufmerksamkeit und einem erhöhten Unfallrisiko. Patient*innen hielten die Reihenfolge der Therapie nicht ein und vergäßen viel, sagte Dr. Meusers.
Das Krankheitsbild ändere sich allerdings mit zunehmendem Alter: „Junge Erwachsene mit ADHS verlieren ihre Flexibilität. Wenn sie einmal etwas entschieden haben, kommen sie davon nicht mehr weg.“ „Für die medikamentöse Therapie ist Methylphenidat das Mittel der ersten Wahl. Patient*innen sprechen jedoch unterschiedlich gut darauf an: 13 % sind Non-Responder“, sagte Dr. Meusers. Bei T1DM müsse die Wirkdauer des Präparats genau beachtet werden. Damit eine verantwortungsvolle Selbstversorgung des T1DM erfolgen kann, seien eine pharmakologische Ganztagsversorgung und eine entsprechende Schulung der Eltern nötig. Da Menschen mit ADHS häufig impulsiv Alkohol konsumieren, sei für ältere Kinder und Erwachsene eine Psychotherapie ratsam, allerdings müsse die Reihenfolge stimmen: „Die Medikation ist bei den meisten Betroffenen entscheidend, damit eine Psychotherapie hilft.“
Die psychiatrische Erkrankung DMDD ist zuerst da
Darüber hinaus räumte Dr. Meusers mit weitverbreiteten Vorurteilen auf. Zwar zeige sich eine Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD), die bei bis zu rund 3 % aller Kinder auftritt und sich meist mit schweren Wutanfällen als erster Auffälligkeit äußert, besonders oft in „verarmten, alleinerziehenden oder wenig strukturierenden Familien“. Doch weder Armut noch falsche Erziehung seien ursächlich für das Krankheitsbild, sondern eine genetische Veranlagung. „Erst ist die psychiatrische Störung da, dann wird das Leben schwierig. Eltern sind fast nie schuld – wir verwechseln oft Ursache und Folge!“ Neben einem sachlichen, kränkungsarmen Umgang und einfachen Regeln benötigen viele an DMDD erkrankte Personen Risperidon. Eltern müssen wissen, dass Risperidon das Hungergefühl stärkt, zu häufigeren Dyslipidämien sowie erhöhten HbA1c-Werten führt und das Risiko für schwere Hypoglykämien und Ketoazidosen erhöht.
KKr