Gewichtsverlust – ein langer und harter Weg

Diabetolog*innen sollten häufiger individuelle Ernährungsberatung empfehlen

WIESBADEN.  Was macht eine gesunde Ernährung aus? Wieso ist die Ernährungsmedizin ein Traumberuf? Welche Rolle spielt sie im allgemeinen Medizinbetrieb? Und was für eine ernährungsmedizinische Begleitung brauchen Menschen, die ihr Gewicht reduzieren möchten? Professor Dr. Diana Rubin war zu Gast im Podcast O-Ton Diabetologie – und erklärte dabei auch, warum DiGA allein die Pfunde nicht purzeln lassen. 

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Im November 2022 hat der Ausschuss Ernährung der DDG seine Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes aktualisiert. An beiden Publikationen war Professor Dr. Diana Rubin maßgeblich beteiligt. Die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit zogen sie bereits während der Schulzeit in ihren Bann: „Am meisten fasziniert mich an der Ernährungsmedizin, dass wir für fast alle Krankheiten etwas tun können, dass dieser Bereich also für alle klinischen Fächer relevant ist.“

Professor Dr. Rubin ist Internistin, Gastroenterologin und Diabetologin. Sie leitet das Zentrum für Ernährungsmedizin am Vivantes Klinikum in Berlin-Spandau, lehrt an der Universität Kiel, engagiert sich in der DGEM und ist die Präsidentin der Diabetes Herbsttagung 2023 im November in Leipzig. Das Motto der Tagung: „Appetit auf Gesundheit“.

Auch Ernährungsmedizin ist schlecht abrechenbar 
Leider spielt das Querschnittsfach bis heute keine angemessene Rolle im Medizinbetrieb, „weder in der Diabetologie noch in den anderen klinischen Fächern“, bedauert sie. Insbesondere im Krankenhaus­wesen habe die Ernährungsmedizin aus ökonomischen Gründen nicht den Stellenwert, der ihr eigentlich gebührt: „Da hat sie etwas gemeinsam mit der Diabetologie, die im Krankenhaus auch schlecht abrechenbar ist und daher leider nur in wenigen Kliniken so angemessen vertreten ist, wie sie sein sollte.“

Dabei lasse sich durch eine konsequente Ernährungsumstellung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes in bis zu 90 % der Fälle eine Remission erzielen, sofern ihr Diabetes noch nicht allzu lange besteht und sie ihr Gewicht um 15 Kilogramm reduzieren, wie Prof. Rubin mit Blick auf die DIRECT-Studie erläuterte: „Das sind schon beeindruckende Zahlen.“ Doch auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes steigt das Durchschnittsgewicht – ebenso wie in der Allgemeinbevölkerung – seit Jahren an. Für sie gelten daher prinzipiell dieselben Ernährungsempfehlungen, insbesondere wenn es um eine Gewichtsreduktion geht.

Neugierig auf die ganze Folge?
Dann hören Sie sich die Folge mit Prof. Dr. Diana Rubin im Gespräch mit Günter Nuber und Jochen Schlabing  in voller Länge an. Zugriff auf alle Folgen von O-Ton Diabetologie – der Podcast für Expert*innen, haben Sie auf medical-tribune.de und auf allen gängigen Podcast-Plattformen (Spotify, Apple, RSS, Google).

Weil eine Lebensstiländerung ein langer und oft auch beschwerlicher Weg ist, benötigten Patient*innen dabei langfristige Unterstützung. Doch genau diese werde ihnen derzeit kaum angeboten: In den gängigen Diabetesschulungen habe die Ernährung meist „nur einen Randschauplatz“, und die individualisierte Ernährungsberatung im Einzel­gespräch werde viel zu selten eingesetzt. „Das liegt sicherlich auch daran, dass die Finanzierung dieser Leistungen nicht geklärt ist. Ernährungsberatung ist keine Kassenleistung“, kritisierte Prof. Dr. Rubin. Patient*innen müssten also einen Antrag bei ihrer Krankenkasse stellen und hoffen, dass die Kosten wenigstens anteilig übernommen werden.

Auch die Niedergelassenen sind in der Verantwortung
Dabei brauchen Patient*innen, die so viel Gewicht verlieren wollen, ihrer Erfahrung nach eine intensive Betreuung – am besten im Rahmen etablierter Gewichtsreduktions­programme mit wöchentlichen mehrstündigen Kontakten, die neben Ernährungs- auch Verhaltens- und Bewegungstherapie beinhalten. Weil genau diese intensive Begleitung in der Regel fehlt, gelinge es nur wenigen Menschen, tatsächlich in nennenswertem Umfang abzunehmen – für Prof. Rubin ein Politikum, das dringend geändert werden sollte.

Doch die Ernährungsmedizinerin sieht neben den fehlenden Rahmenbedingungen auch die niedergelassenen Ärzt*innen in der Verantwortung: „Ich würde von den Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass sie mehr Patientinnen und Patienten eine ambulante Ernährungsberatung empfehlen und sie dorthin weiterleiten“, mahnte sie, zumindest bei denjenigen, die auch die Zuzahlung leisten können. „Aber da es sich hierbei um Beträge von 40 bis 100 Euro für fünf Termine handelt, können das meiner Erfahrung nach die meisten.“

DiGA sind sinnvoll – aber nur eine Ergänzung
Ohne Zuzahlung können hingegen Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnet werden, die seit gut zwei Jahren für Menschen mit Adipositas – unabhängig von ihrem Diabetesstatus – zur Verfügung stehen. Für die Expertin sind DiGA ein sinnvolles Tool, das bei der Gewichtsreduktion unterstützen kann.Sie betonte aber auch: „DiGA sind aus meiner Sicht nur eine Ergänzung eines Blumenstraußes an Therapieoptionen, die wir anbieten sollten. Aber leider momentan die einzige voll finanzierte Therapie.“

Sie versuche derzeit, ihre entsprechenden Patient*innen zunächst in die Einzelberatung zu vermitteln. Eine solche Maßnahme erstrecke sich allerdings in der Regel nur über sechs Monate, „und da haben die meisten ihr Ziel noch nicht erreicht“, erzählte Prof. Rubin. Weil eine weitere Finanzierung der ambulanten Einzelberatung im laufenden Jahr nicht möglich ist und ein Folge­antrag erst im darauffolgenden Jahr gestellt werden kann, verordnet sie im Anschluss an die Einzelberatung eine DiGA. „Auf diese Weise versuche ich, die Patientinnen und Patienten so lange zu begleiten, bis sie ihr Gewichtsziel erreicht haben. Natürlich schaffen das nicht alle – ich will das gar nicht idealisieren. Es gibt auch Therapieabbrecher, denn es ist nun einmal ein langer und harter Weg“, sagte die Ernährungsmedizinerin.

Ziel sei immer, dass die Patient*innen ihren Lebensstil wirklich dauerhaft verändern, sodass sie nicht in den berüchtigten „Jojo-Effekt“ hineinrutschen.

Protokoll: Antje Thiel