Kolumne: Eine Frage des Timings

Wie sich der Zeitpunkt körperlicher Aktivität auf den Metabolismus auswirkt

DÜSSELDORF.  Warum hüpft der Ehemann plötzlich durchs Zimmer? Und wie hängen der Zeitpunkt körperlicher Aktivität und Insulinresistenz zusammen? 

Liesa Regner-Nelke/privat

„Pling“ tönt es von der Smartwatch meines Ehemannes, Sekunden bevor er sich von seinem Stuhl erhebt und beginnt, durch die Wohnung zu hüpfen. Ich sehe ihm skeptisch über den Rand meines Laptops hinweg zu. „Was wird das denn, wenn es fertig ist?“, frage ich, während er dazu übergegangen ist, Hampelmänner zu machen. „Ich saß zu lange“, ruft er mir außer Atem zu und beginnt, auf der Stelle zu joggen. „Sitzen ist Gift.“ Ich ziehe eine Augenbrauch hoch. Wenn er so weitermacht, wird das Gehopse Gift für die Beziehung zu unseren Nachbarn unter uns sein. Ich überzeuge ihn nach kurzer Diskussion, den sportlichen Befehlen seiner Smartwatch bei einer abendlichen Joggingrunde Folge zu leisten. Mit dem Knallen der zufallenden Wohnungstür lehne ich mich entspannt in meinem Stuhl zurück in dem Wissen, dass ich mein Sportprogramm bereits am Morgen hinter mich gebracht habe. Zeitgleich frage ich mich, ob die Tageszeit, zu der ich Sport mache, eine Auswirkung auf den Effekt haben könnte.

Eine ähnliche Frage stellen sich der Wissenschaftler Jeroen Van der Velde und seine Kolleg*innen der Universität Leiden in einer im September 2022 im Fachjournal Diabetologia veröffentlichten Studie. Die Forschungsgruppe untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt körperlicher Aktivität und dem Fettgehalt der Leber sowie der Insulinresistenz. Von einer Insulinresistenz wird gesprochen, wenn die Zellen des Körpers vermindert oder gar nicht auf Insulin reagieren. Die Bauchspeicheldrüse schüttet dann mehr Insulin aus, mit dem Ziel, den Blutzucker zu regulieren. Langfristig kann das die körpereigene Insulinproduktion erschöpfen; das Hormon muss dann von außen zugefügt werden, wie beim insulinpflichtigen Diabetes Typ 2. Es ist bereits bekannt, dass körperliche Aktivität die Insulinsensitivität, also die Empfindlichkeit der Zellen gegenüber Insulin, verbessert. 

In der aktuellen Arbeit wurden nun 775 Proband*innen der „Netherlands Epidemiology Obesity(NEO)“-Studie getestet. Die NEO ist eine bevölkerungsbasierte prospektive Kohortenstudie, die Prozesse zur Entstehung von Erkrankungen im Zusammenhang mit Adipositas untersucht. Zwischen 2008 und 2012 wurden 6.671 Personen im Alter von 45–65 Jahren in die Kohorte eingeschlossen. Ein Großteil der Proband*innen ist von Übergewicht oder Adipositas betroffen. Die körperliche Aktivität der Teilnehmer*innen wurde mittels Puls- und Beschleunigungsmessung über vier aufeinanderfolgende Tage bestimmt und in vier Zeitblöcke eingeordnet: morgens (6.00–12.00 Uhr), nachmittags (12.00–18.00 Uhr), abends (18.00–00.00 Uhr) und moderate bis starke körperliche Aktivität gleichmäßig über den Tag verteilt. Darüber hi­naus wurde der Leberfettanteil mittels Magnetresonanzspektroskopie festgestellt und Blut zur Bestimmung von Glukose, Insulin und Langzeit-Zucker (HbA1c) abgenommen.

Das Sitzen unterbrechen: Bringt das was?
Die Auswertung der Parameter zeigte, dass weder die sitzend verbrachte Zeit noch die Anzahl der Unterbrechungen der sitzend verbrachten Zeit im Zusammenhang mit einer reduzierten Insulinresistenz standen. In früheren experimentellen Studien konnte hingegen ein positiver Effekt von Unterbrechungen der im Sitzen verbrachten Zeit mit unterschiedlichen Stoffwechselergebnissen wie dem Gewicht oder auch der Insulinresistenz gezeigt werden. Grund hierfür könnte der unterschiedliche Studienaufbau sein, da in experimentellen Studien meist regelmäßige Unterbrechungen mit durchgängigem Sitzen verglichen werden – einem Zustand, der im realen Leben kaum vorkommt. 

Zur Überraschung der Forschungsgruppe um Van der Velde war die Anzahl der Unterbrechungen der sitzend verbrachten Zeit mit einem um 22 % erhöhten Leberfettanteil assoziiert. Die Wissenschaftler*innen erklärten sich dies durch die absolute im Sitzen verbrachte Zeit. Menschen, die insgesamt länger sitzen, haben auch die Möglichkeit für mehr Unterbrechungen des Sitzens. 

Hinsichtlich des Zeitpunktes moderater bis starker körperliche Aktivität ergab sich eine reduzierte Insulinresistenz bei Personen, die nachmittags oder abends aktiver waren, verglichen mit jenen, die über den Tag hinaus gleichmäßig moderat bis stark körperlich aktiv waren. Auch das nüchtern bestimmte Insulin zeigte sich bei diesen Proband*innen reduziert. Auf den Leberfettanteil zeigten die unterschiedlichen Zeitpunkte körperlicher Aktivität jedoch keinen Einfluss.

Was steckt dahinter? Die Mechanismen sind unklar
Die Mechanismen, die diese Unterschiede ausmachen, sind aktuell noch unklar. Eine Hypothese ist die Verbesserung der zirkadianen Rhythmik durch sportliche Aktivität. Muskuläre Stärke und die mitochondriale Funktion von Skelettmuskeln haben am Nachmittag einen Höhepunkt, was auf eine zirkadiane Rhythmik des oxidativen Stoffwechsels hinweisen könnte. Zudem konnte in weiteren Studien gezeigt werden, dass Stoffwechsel-Reaktionen auf mittlere bis starke körperliche Aktivität unterschiedlich ausfallen, abhängig von der Tageszeit. Die genauen Prozesse dieses Zusammenhangs gilt es jedoch noch aufzudecken.

Für mich ergibt sich aus den Erkenntnissen von Jeroen Van der Velde und seinem Team schon mal eine Konsequenz: Ich stehe vom Schreibtisch auf, werfe mich in Sportklamotten und wage den aussichtslosen Versuch, meinen Mann noch einzuholen.

Literatur: van der Velde JHPM et al. Diabetolog 2023; 66: 461–471 (2023); doi:10.1007/s00125-022-05813-3 

Liesa Regner-Nelke