Faustregel: »Sitting less – moving more«

Sensortechnologie überbrückt die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit

BERLIN.  Alltagsaktivität und sportliche Bewegung reduzieren dosisabhängig das Risiko für alle nicht-übertragbaren Erkrankungen. Was auch immer Menschen dazu motiviert, sich mehr zu bewegen, verdient daher Unterstützung – hierzu zählen möglicherweise auch Devices wie CGM-Systeme oder Schrittzähler. 

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Ganz gleich, ob man sich die Zahlen zu Brust- oder Darmkrebs, Typ-2-Diabetes, zu koronarer Herzkrankheit oder ischämischem Schlaganfall anschaut: Je mehr Bewegung Menschen in ihren Alltag einbauen, umso stärker sinkt das Risiko für das Auftreten von Erkrankungen. Messbar wird der Effekt z. B. mithilfe von metabolischen Äquivalenten (MET) (siehe Kasten). Bereits moderate Aktivitätslevel von 3.000–6.000 MET-Minuten pro Woche senken das Risiko für die genannten nicht-übertragbaren Erkrankungen signifikant.1 

MET als Maß für körperliche Beanspruchung 
Das metabolische Äquivalent (MET) dient dem Vergleich verschiedener Tätigkeiten hinsichtlich ihres Energieverbrauchs. Ein MET entspricht dabei dem Umsatz von 3,5 ml Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht pro Minute bei Erwachsenen, den der Körper typischerweise in Ruhe aufweist. In Bezug auf Aktivitäten gibt das MET die Leistung als ein Vielfaches des Ruheumsatzes an. Mithilfe des MET kann man also den Energieverbrauch unterschiedlicher Tätigkeiten vergleichen. So entspricht Spazierengehen je nach Tempo etwa 3–4 MET, Radfahren je nach Tempo etwa 4–5 MET, Seilspringen etwa 11 MET und moderates Lauftraining etwa 8 MET. 

Lange Sitzzeiten lassen sich ausgleichen
Gut belegt ist auch der Zusammenhang zwischen langen Sitzzeiten und erhöhter Sterblichkeit.2 „Wer acht Stunden tägliches Sitzen durch Sport ausgleichen will, braucht dafür gut 35 MET-Stunden (s. Kasten) pro Woche“, berichtete Dr. Meinolf Behrens vom Diabeteszentrum Minden. Die Reduktion von Sitzphasen wirke sich auch positiv auf den Blutzuckerspiegel aus. Überhaupt könnten Lebensstilinterventionen die Glukosetoleranz verbessern und das Auftreten eines Typ-2-Diabetes verzögern, betonte der Referent. 

Auch für den präventiven Effekt einer gesteigerten täglichen Schrittzahl auf die Lebenserwartung liegen entsprechende Zahlen vor: „Menschen über 60 Jahre erreichen bei 6.000 bis 8.000 Schritten pro Tag ihr Präventionsplateau. Bei Jüngeren liegt dieser Wert bei etwa 8.000 bis 10.000 Schritten am Tag“, sagte Dr. Behrens und gab als Faustregel die Devise aus: „Weniger sitzen, mehr bewegen!“ Die größten Erfolge in Bezug auf die Lebenserwartung erzielten dabei diejenigen, die überhaupt wieder anfangen, Bewegung in ihren Alltag einzubauen. Bedenken, dass mehr Bewegung auch mit einem erhöhten Unfallrisiko einhergehen, mochte Dr. Behrens nicht gelten lassen: „Statistisch gesehen kostet das Unfallrisiko beim Radfahren sechs bis neun Tage Lebenszeit. Der Lebenszeitverlust durch Inaktivität ist deutlich höher.“ 

Schrittzähler als aktivierende Motivationshilfe 
An Belegen, dass Bewegung besser als jedes Medikament zur Prävention und Therapie von Erkrankungen taugt, fehlt es also nicht. Wohl aber an Motivation bei den Betroffenen, Bewegungsempfehlungen auch tatsächlich umzusetzen. Hierbei könnten nach Auffassung von Professor Dr. Christian Brinkmann von der Deutschen Sporthochschule Köln auch Sensortechnologien helfen. Er berief sich auf eine Metaanalyse zur Auswirkung von Schrittzählern auf das Bewegungsverhalten von Menschen mit Typ-2-Diabetes, wonach die Proband*innen pro Woche 60 % bzw. eine ganze Stunde mehr aktiv waren.3

CGM-Nutzung verbessert die Selbstwirksamkeit
Doch auch die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) könne einen solchen Effekt haben, berichtete Prof. Brinkmann mit Blick auf eine weitere Pilotstudie4: „Die Teilnehmenden waren stärker körperlich aktiv, wenn sie einen Glukoseanstieg auf ihrem CGM sahen.“ Unter den CGM-Anwender*innen berichteten 87 % auch, dass sie auf Basis der CGM-Nutzung die Wahl ihrer Lebensmittel anpassten. „Vielleicht braucht es genau das, um die Lücke zwischen Intention und Verhalten zu schließen?“, fragte der Sportwissenschaftler. Offenbar könne die mit CGM-Nutzung verbundene verbesserte Selbstwirksamkeit die intrinsische Motivation deutlich stärken. Allerdings seien größere und längere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit der Bewegungsmotivation nachzuweisen.

Antje Thiel

  1. Kyu et al. BMJ 2016; 354: i3857; doi: 10.1136/bmj.i3857
  2. Ekelund et al. Lancet 2016 Sep 24; 388(10051): 1302-1310; doi: 10.1016/S0140-6736(16)30370-1
  3. Baskerville et al. Diabetic Medicine 2017; 37, 5: 4612-4620; doi: 10.1111/dme.13331
  4. Ehrenhardt et al. Clin Diabetes 2020; 38 (2): 126-131; doi: 10.2337/cd19-0037


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