Sportverzicht ist keine gute Lösung

Teufelskreis mit Angst vor Kontrollverlust muss unbedingt unterbrochen werden

WIESBADEN.  „Spritzen Sie halt ein bisschen weniger Insulin vor dem Sport“ – ein solcher Rat an sportlich aktive Menschen mit Typ-1-Diabetes entspricht nicht mehr dem heutigen Wissensstand. Eine intensive Schulung ist hier auch bei Älteren erforderlich, um insbesondere Hypoglykämien zu vermeiden. 

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Die Beziehung von Typ-1-Dia­betes und Sport ist schon immer durch eine Art ‚Hassliebe’ gekennzeichnet“, sagte Professor Dr. Othmar Moser von der Abteilung für Sportmedizin an der Universität Bayreuth. Auf der einen Seite besteht ein grundsätzliches glykämisches Risiko durch den Sport – auf der anderen Seite profitieren auch Menschen mit Typ-1-Diabetes enorm von körperlicher Bewegung und sportlichen Aktivitäten.

Viele Faktoren halten Betroffene mit Typ-1-Diabetes vom Sport ab. Führend ist hier noch immer die Angst vor den akuten Hypoglykämien. Der zweithäufigste Grund ist die mangelnde Zeit – hier unterscheiden sich Menschen mit Diabetes nicht von Gesunden. »Diabetesspezifisch ist dann aber wieder die Angst vor einem chronischen Kontrollverlust in der – nehmen wir hier nun einmal dieses schwache Wort – Diabeteseinstellung. «Dadurch haben viele Personen mit Diabetes ein niedrigeres Fitnesslevel als Gesunde, was sie wiederum bei sportlichen Aktivitäten einschränkt. »Dieser Teufelskreis muss unbedingt unterbrochen werden«, betonte der Sportmediziner, »denn irgendwann müssen wir alle mit Bewegung starten, um ein höheres Fitnesslevel zu haben.«

Vermehrte Hypoglykämien auch bei Bewegungsarmut 
Eine Studie von 2015 konnte zeigen, dass zwischen Bewegung und der Rate an schweren Hypoglykämien ein U-förmiger Zusammenhang besteht: Personen, die sich so gut wie gar nicht bewegen, haben danach ein ähnlich hohes Risiko wie Menschen, die sehr viel Sport machen. Dies ändert sich aber mit zunehmendem Alter: Das höchste Risiko für schwere Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit haben ältere Menschen mit Typ-1-Diabetes zwischen 45 und 79 Jahren, die sich viel  bewegen. Hier rächen sich nach Einschätzung von Prof. Moser die fehlenden Sport- und Bewegungsempfehlungen für diese Altersgruppe. 

Was beim Sport mit dem Blutzucker passiert, erläuterte der Sportwissenschaftler anhand eines einstündigen Krafttrainings zum Muskelaufbau. Bei 80 % der Menschen kommt es dadurch zuerst zu einem Blutzuckeranstieg durch den Anstieg von Katecholaminen und auch Cortisol, welche die hepatische Glukoneogenese anregt. Wenn dann wie gewohnt gegenreguliert wird, können im Verlauf schwere Hypoglykämien drohen, die einige sportassoziierte „Dead in Bed“-Fälle erklären können.

Bei Trainingsbeginn häufig Hyperglykämie
Sportverzicht ist aber auch keine Lösung. Bei Kindern mit Typ-1-Dia­betes wurde sehr gut gezeigt, dass die mittleren Glukosewerte an Tagen mit viel Bewegung deutlich niedriger sind und sie mehr Zeit im Zielbereich verbringen. Neben einer Verbesserung des glykämischen Managements wird zudem das Risiko für kardiovaskuläre und diabetesspezifische Begleiterkrankungen reduziert, ganz zu schweigen von den positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Intervallfasten auch bei Typ-1-Diabetes möglich
Für die Prävention von Adipositas, die auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes immer weiter verbreitet ist, kann neben Bewegung auch das heute relativ beliebte 16/8-Intervall-Fasten empfohlen werden, wenn einige Sicherheitsvorkehrungen beachtet werden: 

  • Nutzung eines CMG-Geräts
  • Sport grundsätzlich nur während der Essensperioden
  • Fastenbrechen bei einem Blutzucker < 70 mg/dl und Aufnahme von – je nach Trendpfeil – 10, 15 oder 20 g Kohlenhydraten
  • Bei Erreichen eines Werts < 54 mg/dl: Fasten nicht wieder aufnehmen
  • Ggf. Basalratenreduktion, vorher Blutketone messen, die 1,5 mmol/l nicht übersteigen sollten
  • Möglicherweise CGM-Alarme höher einstellen (90 mg/dl am Tag und 80 mg/dl in der Nacht)

Maria Weiß

Diabetes Herbsttagung 2022