Emotionaler Halt und praktische Unterstützung aus dem Netz
STOCKHOLM. Die Hintergründe und Aktivitäten von Menschen in der Diabetes Online Community mögen unterschiedlich sein. Doch sie alle sind davon überzeugt, dass Diabetesteams ihre Patient*innen ermutigen sollen, Kontakt zu „Diabuddies” zu suchen.
Es ist noch nicht lange her, dass Veranstaltungen wie der EASD-Kongress nur Fachpersonal offenstanden. Doch inzwischen ermöglichen immer mehr Kongresse Menschen mit Diabetes, an fachlichen Sitzungen teilzunehmen und mitzudiskutieren. „Der erste Docday fand beim EASD-Kongress 2015 in Stockholm statt“, erinnerte sich dedoc-Gründer Bastian Hauck aus Berlin. „Doch da durften wir als Menschen mit Diabetes nicht offiziell am Kongress teilnehmen.“
2022: regulär dabei und überschwänglich begrüßt
In diesem Jahr war das dedoc-Symposium eine reguläre Sitzung im Hauptprogramm des Kongresses – und die 128 Teilnehmenden wurden von EASD-Vizepräsidentin Professor Chantal Mathieu von der Katholischen Universität Leuven (Belgien) überschwänglich begrüßt: „Heute sind Sie hier, mitten unter uns, wo Sie auch hingehören!“, sagte sie. „Ich hoffe, Sie werden hier beim Kongress viel herumstöbern und Fragen stellen. In der Forschung brauchen wir genau das: Menschen, die mit der Erkrankung leben und uns erklären, was das im Alltag tatsächlich bedeutet. Das eröffnet uns eine komplett neue Perspektive!“
Was für eine zentrale Bedeutung der Peer Support durch die Diabetes Online Community (DOC, s. Kasten) für Menschen mit Diabetes hat, verdeutlichte Andrea Limbourg aus Paris, die seit 1997 mit Typ-1-Diabetes lebt: „Ich habe schon unmittelbar nach meiner Diagnose den Kontakt zu anderen Menschen mit Diabetes gesucht – denn ich wollte nicht allein mit meiner Erkrankung sein.“ Sie berichtete von den digitalen Anfängen in Form von einfachen Forenseiten, gefolgt von Twitter-Chats und Blogs.
Rat, Unterstützung oder Trost aus dem Netz Ziele von DOC-Aktivist*innen sind z.B., der Stimme von Menschen mit Diabetes mehr Gewicht zu verleihen, den Zugang zu bestmöglichen Therapien zu erleichtern und patientenzentrierte medizinische Forschung zu stärken. Doch an allererster Stelle steht der Gedanke, Menschen mit Diabetes zusammenzubringen und ihnen zu vermitteln, dass sie mit ihrer Erkrankung nicht allein sind und sich jederzeit an die Community wenden können. |
In den USA nahm die Vernetzung durch Corona ebenfalls Fahrt auf. So wurde aus einer lokalen Gruppe namens „Loop & Learn“ in Südkalifornien mit etwa 100 Menschen im Verlauf der Coronazeit eine Facebook-Gruppe mit mittlerweile 5.900 Mitglieder aus den ganzen USA zählt. Und in Indonesien setzten sich Diabetes-Aktivist*innen ganz pragmatisch dafür ein, dass die Verordnungsintervalle verlängert wurden, damit Menschen mit Diabetes auch während des Lockdowns Zugang zu allen notwendigen Medikamenten und Hilfsmitteln hatten.
Salih Hendricks aus Südafrika begann während der Pandemie, sich zu vernetzen: „Ich hatte gerade ein Bein verloren und saß während des Lockdowns allein zu Hause.“ Anstatt sich zu verkriechen, gründete er eine Community für amputierte Menschen mit Diabetes: „Es war phänomenal zu sehen, welche Kraft der Peer Support ihnen gegeben hat. Wir vermitteln einander, dass man sich nicht für eine Amputation schämen muss, dass es möglich ist, weiter sportlich aktiv zu sein und arbeiten zu gehen.“ Daneben leistet die Gruppe praktische oder finanzielle Hilfe.
Nicht allein zu sein mit seiner Erkrankung, ist auch für Briten Tom Dean, der im Alter von 17 Jahren die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt, die zentrale Motivation, sich in der DOC zu engagieren. Er ist Initiator eines wöchentlichen Diabetes-Chats, zu dem regelmäßig auch Expert*innen eingeladen werden, die dort über ihre Forschung berichten. Daneben gibt es Umfragen, Nachrichten und natürlich Raum für den persönlichen Austausch: „Bevor ich andere aus der Community kannte, fühlte ich mich sehr einsam mit meinem Diabetes. Dank meiner ‚Diabuddies‘ habe ich inzwischen gelernt, ihn zu akzeptieren.“
58th EASD Annual Meeting Stockholm
Antje Thiel