Diabetes hat ein epigenetisches Gedächtnis
STOCKHOLM. Das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, ist von vielen Faktoren abhängig. Hierzu zählen beispielsweise das Alter, genetische Risikovarianten, intrauterine Einflüsse und nicht zuletzt Ernährung, Übergewicht sowie körperliche Aktivität. Auch eine fehlgesteuerte Regulierung durch epigenetische Mechanismen scheint eine Rolle zu spielen. Das lässt sich
klinisch möglicherweise nutzen.
Epigenetische Regulationen umfassen im Wesentlichen drei Mechanismen“, erklärte Professor Dr. Charlotte Ling vom Zentrum für Epigenetik und Diabetes der Universität von Lund in Schweden:
- DNA-Methylierung
- Nicht-codierende RNA
- Histonveränderungen
Denkbar ist eine Veränderung dieser epigenetischen Mechanismen infolge des Diabetes. Oder die Diabetes-Risikofaktoren führen zu epigenetischen Veränderungen, die letztlich die Entstehung eines Typ-2-Diabetes begünstigen. Wie epigenetische Veränderungen und Diabetes zusammenhängen, untersucht Prof. Lings Arbeitsgruppe anhand der DNA-Methylierung. Sie fand in humanem Muskelgewebe von Menschen mit Diabetes während der Differenzierung von Myoblasten zu Myotuben mehr als doppelt so viele DNA-Methylierungsveränderungen wie bei Menschen mit normaler Glukosetoleranz. „Das spricht für ein epigenetisches Gedächtnis bei Diabetes“, meinte Ling.
Wurde mit diesen Proben in vitro ein Typ-2-Diabetes nachgeahmt, kam es zu einem Abschalten des Regulators VPS39, der für Autophagie und Lysosomenfunktion eine Rolle spielt. Ling beobachtete in vitro daraufhin eine reduzierte Myogenese. Die Folge sei eine verstärkte Insulinresistenz und eine verschlechterte Muskelqualität, meinte sie und hofft, die Regulation von VPS39 könne ein neuer therapeutischer Ansatz bei Typ-2-Diabetes sein.
Interessant könnte auch die Entwicklung von blutbasierten epigenetischen Biomarkern für die Therapiesteuerung bei Typ-2-Diabetes sein. Untersucht wurde das bereits für Metformin, auf das etwa 30 % der Behandelten nicht ansprechen und das bei 20–30 % zu intolerablen gastrointestinalen Nebenwirkungen führt.1 Es ließen sich in einer genomweiten Analyse bei neu diagnostizierten Menschen mit Typ-2-Diabetes elf DNA-Abschnitte mit Methylierungsvarianten detektieren, die mit dem Risiko assoziiert waren, nicht auf Metformin anzusprechen.
Mit einem Methylierungs-Risikoscore basierend auf diesen elf Methylierungsstellen ließ sich das Ansprechen relativ gutvorhersagen: Die Area under the Curve (AUC) lag in der ROC-Analyse (ROC für receiver operating characteristic) bei 0,80. Vier weitere DNA-Methylierungstellen waren mit dem Risiko für schwere Nebenwirkungen assoziiert. Ein entsprechender Risikoscore für die Entwicklung einer Intoleranz basierend auf den vier damit assoziierten Methylierungsstellen ergab eine AUC von 0,89, sagte Ling. „Es spricht also einiges dafür, epigenetische Biomarker für die Präzisionsmedizin bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zu nutzen.“
Die Expertin stellte außerdem fest: „Möglicherweise kann die DNA-Methylierung auch Auskunft über den Diabetes-Subtyp geben.“ Zwischen SIDD (Severe Insulin Deficient Dia-betes), SIRD (Severe Insulin Resistent Diabetes), MOD (Mild Obesity-Related Diabetes) und MARD (Mild Age-Related Diabetes) bestehen im epigenetischen Methylierungsmuster deutliche Unterschiede, was die Sinnhaftigkeit dieser neuen Einteilung zusätzlich unterstützt.2
Dabei ließen sich innerhalb der Subgruppen spezifische Methylierungs-Risikoscores entwickeln, die das Risiko für diabetesassoziierte Komplikationen vorhersagen können – ebenfalls eine potenzielle klinische Anwendung der DNA-Methylierungsanalyse.
58th EASD Annual Meeting, Stockholm
Literatur:
- Garcia-Calzón S et al. Sci Transl Med 2020; 12: eaaz1803; doi: 10.1126/scitranslmed.aaz1803
- Schrader S et al. Diabetes Care 2022; 45: 1621-1630; doi: 10.2337/dc21-2489
Friederike Klein