»Chronische Erkrankungen erfordern chronische Betreuung«
BERLIN. Kontinuität und hochwertige diabetologische Versorgung wünscht sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) für ab 18-Jährige mit einem Diabetes Typ 1. Damit sie beim Abschied vom Pädiater nicht durchs Raster fallen, unternimmt die Fachgesellschaft viele Anstrengungen.
Die Volljährigkeit ist eine Phase voller Herausforderungen und Umbrüche. Rein rechtlich tragen 18-Jährige nun die volle Verantwortung für ihr Leben. Weitere Probleme mit sich bringen Studium oder Berufsausbildung, ein Auszug aus dem Elternhaus, ein Ortswechsel, ein neuer Freundeskreis oder eine Partnerschaft. Was für gesunde Menschen in dem Alter bereits eine Herkulesaufgabe ist, bedeutet für junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes (T1D) noch eine Belastungsprobe mehr. Darum ging es auf einer Online-Pressekonferenz der DDG und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie Ende Juni.
Selbstmanagement leidet durch viele Anforderungen
„Das kontinuierliche Selbstmanagement des Diabetes kann in dieser vulnerablen Phase durch die Vielzahl der Anforderungen, der Herausforderungen erheblich leiden“, sagt Prof. Dr. Andreas Neu (Tübingen), Präsident der DDG. Dass gerade in dieser Phase ein Betreuerwechsel erfolgt, führt nicht selten zu einer Unterbrechung der kontinuierlichen Diabetesversorgung und zu einer deutlichen Verschlechterung der Stoffwechselkontrolle. Prof. Neu warnt: „Rund 10 Prozent nehmen keine weitere diabetologische Versorgung in Anspruch. Bis zu 40 Prozent berichten über eine lückenhafte Versorgung. Die Rate der regelmäßigen Arztbesuche nimmt nach diesem Transfer signifikant ab. Arztwechsel sind häufig, das heißt, dass die Kontinuität nicht gewährleistet ist.“
Die DDG ist besorgt über diesen weißen Fleck in der medizinischen Betreuung, auch weil derzeit 32.500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren einen T1D haben und jedes Jahr 3.000 Kinder neu daran erkranken, Tendenz steigend. Für sie alle wird die Transition ein Thema sein. Dazu kämen laut Prof. Neu aktuell weitere Herausforderungen: etwa eine fehlende Expertise für Schulung und Begleitung mit modernen Technologien zum Glukosemanagement in der Erwachsenentherapie. So seien die sensorgesteuerten automatisierten Insulindosierungssysteme (AID-Systeme) in der Kinderdiabetologie häufiger im Einsatz als in der Erwachsenenmedizin.
Transition als kritische Phase in der Versorgung
Über 90 Prozent der Kinder unter sechs Jahren nutzen moderne Diabetestechnologien zur täglichen Stoffwechselkontrolle. Sie sind auch bei älteren Kindern und Jugendlichen weit verbreitet – betroffene Erwachsene nutzen sie nur zu 20 bis 30 Prozent. „Der Druck, in der Pädiatrie solche Systeme zu nutzen, ist weitaus höher als in der Erwachsenenmedizin“, so Prof. Neu. „Wir wissen, dass die Transition eine kritische Phase ist in Bezug auf die kontinuierliche Versorgung. Hier gilt es, die Heranwachsenden frühzeitig darauf vorzubereiten.“
In Vorbereitung auf eine Transition wären nach Einschätzung der DDG intensive Schulungen nötig: im Umgang mit Diabetes, mit Alkoholkonsum, Führerschein, Reisen und Sport. Der Zeitpunkt dafür sollte flexibel wählbar sein: „So wünschen es sich auch die Betroffenen – und nicht etwa abhängig von zulassungsrechtlichen oder abrechnungstechnischen Vorgaben“, rät der Kinder-Experte.
Versorgung und Nachwuchs in der Fläche sichern
Apropos Arztsuche: Zwar gebe es große und gut ausgestattete Zentren, aber viele Patient*innen favorisierten eine wohnortnahe, individuelle Betreuung. Deshalb sollten diabetologische Einrichtungen in Ballungsräumen und auch flächendeckend für die Patient*innen verfügbar sein: diabetologische Schwerpunktpraxen, Ambulanzen an universitären Häusern, akademische Lehrkrankenhäuser und medizinische Versorgungszentren. „Die aktuelle Versorgung ist in der Summe zwar gut, in der Fläche jedoch sehr ungleich verteilt und vor allem durch mangelnden Nachwuchs gefährdet. Die Altersstruktur der Diabetologen ist bedenklich.“ Weniger als 10 Prozent der aktuell tätigen Diabetolog*innen seien jünger als 40 Jahre. „Deshalb hat es sich unsere Fachgesellschaft zur Aufgabe gemacht, diese bestehenden Strukturen zu sichern, aber auch in der Breite auszubauen und vor allem eine intensive Nachwuchsförderung zu leisten.“
Darüber hinaus bietet die DDG Weiterbildungen an, qualifiziert Diabetolog*innen und sorgt insbesondere dafür, dass weitere nachwachsen. Auch Weiterbildungs- und Promotionsstipendien sollen junge Studierende für die Diabetologie gewinnen, begeistern und in diesem System halten. Alles in allem eine große Herausforderung!
Günter Nuber