Meist ohne aktuellen Plan

Alle wollen verlässliche Informationen zur Medikation – in der Theorie

BERLIN.  Der standardisierte Medikationsplan gilt als wichtiges Instrument in der Kommunikation Praxis–Apotheke–Patient*in zur Stärkung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Doch die Nutzung bleibt hinter den Möglichkeiten zurück. Was folgt daraus?

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Seit Oktober 2016 haben Patient*innen, die gleichzeitig drei verordnete Arzneimittel einnehmen, den Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP). Das sind geschätzt etwa 20 Mio. Versicherte. „Doch nur ein sehr geringer Teil nimmt diesen Anspruch wahr“, berichtet Dr. Ann Kathrin Strunz, Referentin Wissenschaftliche Entwicklung bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. „Genaue Zahlen existieren nicht. In der Apotheke sehen wir aber nur sehr selten einen BMP.“

Fast 80 % der Pläne sind nicht vollständig oder veraltet
Fakt ist: Beim Apotheken- und Praxisbesuch haben Patient*innen ihren BMP meist nicht dabei oder sie zeigen ihn nicht vor. Selbst Personen, die einen von Arzt/Ärztin und Apotheker*in gemeinsam erstellten BMP erhalten haben, bringen diesen nach einiger Zeit nicht mehr mit.

Auch die Aktualität und Qualität des BMP sind nicht zufriedenstellend, sagt Dr. Strunz. „Fast 80 % sind nicht vollständig oder veraltet.“ Dies zeigen z.B. Untersuchungen bei Krankenhausaufnahme. Dabei ergab das Medikationsmanagement im Modellprojekt ARMIN (www.arzneimittelinitiative.de) einen hohen Erneuerungsbedarf: Bereits nach drei Monaten hatten mindestens 60 % der Patient*innen einen aktualisierten Plan. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Mehrheit der Patient*innen fühlt sich dank des Medikationsplans sicherer im Umgang mit den eigenen Arzneimitteln und weiß auch mehr zu Dosierung und Einnahmegrund. 

Die Einführung des elektronischen Medikationsplans (eMP) auf der Gesundheitskarte 2020 hat die Lage nicht entscheidend verbessert. Dafür müssten zunächst einmal die technischen Hürden überwunden werden, betont Dr. Strunz. Voraussetzung für den eMP ist, dass die Versicherten über eine NFC-fähige Gesundheitskarte verfügen und die erforderliche PIN bei ihrer Krankenkasse beantragt haben. Bis 2023 erhalten sie allerdings sowieso weiterhin den BMP als Ausdruck.

Ab 2023 soll der eMP für die Betroffenen online einsehbar sein, sodass der BMP auf Papier theoretisch entfallen könnte. „Hinsichtlich der Verbreitung wird sich aber nach den Erfahrungen seit 2016 nichts ändern – entscheidend dafür wäre nicht die Digitalisierung des Medikationsplans, sondern vielmehr eine bessere Integration in die Prozesse in Apotheke und Arztpraxis“, so Dr. Strunz.

Das Projekt ARMIN zeigte, dass festgelegte Prozesse und Aufgabenteilungen zwischen den Leistungserbringern für die Arbeit mit dem BMP entscheidend sind. Befragungen von Patient*innen, Ärzt*innen und Apotheker*innen bestätigten eine hohe Akzeptanz und Praxis­tauglichkeit des Arzneiplans. „Insbesondere Gesundheitsberufler schätzen den Medikationsplan als ein intersektorales und interprofessionelles Kommunikationsmedium.“

Die Realität ist jedoch: Haus­ärzt*innen kennen häufig die von Fachärzt*innen verordneten Arzneimittel nicht. Und nur eine Minderheit der Patient*innen informiert ihre Hausärzt*innen über die eingenommene Selbstmedikation.

Hier kann die Apotheke einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie die OTC-Medikation im BMP ergänzt, erläutert Dr. Strunz. Obwohl OTC-Arzneimittel etwa 40 % der in deutschen Apotheken abgegebenen Arzneipackungen ausmachen, sind diese in der betreuenden hausärztlichen oder diabetologischen Praxis oftmals nicht bekannt. In Medikationsplan-Modellprojekten lobten dementsprechend alle Beteiligte den Informationsgewinn bei der Patient*innen-Selbstmedikation sowie bei Verordnungen mitbehandelnder Ärzt*innen. Der Aktualisierungsgrad von Medikationsplänen von Patient*innen, die von Hausarztpraxis und Stammapotheke gemeinsam betreut werden, ist übrigens am höchsten.

Hinweise zur Anwendung lassen sich als Freitext eingeben
Mithilfe von eMP und BMP können Diabetolog*innen, weitere Fach­- sowie Hausärzt*innen den Überblick über die Gesamtmedikation behalten. Das gilt auch im Fall eines unvorhergesehenen Klinikaufenthaltes – sofern der Plan mitgeführt wird, sagt Dr. Strunz. „Der BMP lässt sich speziell auf Menschen mit Diabetes anpassen, etwa mit Zwischenüberschriften wie ,Anwendung unter die Haut‘ oder ,Fertigspritze‘, um Diabetes-Medikation abzugrenzen und Übersichtlichkeit zu schaffen.“ Komplexe Spritzschemata und Hinweise zur Anwendung lassen sich in Zusatzzeilen als Freitext eingeben.

„Antidiabetika zählen nach wie vor zu den Arzneistoffen, die am häufigsten mit vermeidbaren Krankenhauseinweisungen assoziiert sind“, warnt die ABDA-Referentin. Insbesondere die Anwendung von Insulinen berge hohe Risiken für die Arzneitherapiesicherheit. Internationale Erhebungen zeigten, dass viele Patient*innen Fehler beim Lagern und Anwenden ihrer Insuline machten. Fehler, wie die fehlende Rotation der Injektionsstelle oder die Mehrfachverwendung der Injektionsnadeln, könnten zu einer verminderten Wirkung bzw. unzureichender Blutzuckersenkung führen.

Medikationsmanagement mithilfe von Apotheker*innen
„Menschen mit Typ-2-Diabetes nehmen häufig zahlreiche Arzneimittel ein und haben dadurch ein erhöhtes Risiko für arzneimittelbezogene Probleme“, so Dr. Strunz. Die Anzahl eingenommener Arzneistoffe steige zudem mit dem Lebensalter aufgrund von Begleit- und Folgeerkrankungen. Auch die Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes berücksichtige daher die Beteiligung von Apotheker*innen an der Betreuung von Diabetespatient*innen mit Polymedikation, insbesondere bei Medikationsanalyse und -management. Die DDG und die Bundesapothekerkammer haben deshalb die Fortbildung zur „diabetologisch qualifizierten Apotheker*in DDG“ 

Michael Reischmann