Im Kosmos der Molekül-Tüftler

Therapieansätze bei Diabetes: Immuntherapie und Fusionsmoleküle

WIESBADEN.  Die Ansätze in der zielgerichteten Immuntherapie adressieren die zentrale und periphere Immuntoleranz bei Typ-1-Diabetes, während Fusionsmoleküle beim Typ-2-Diabetes Therapieplätze erobern. Duale, aber auch dreifache Substanz-Kombis mit GLP1-Rezeptoragonisten verheißen erwünschte Synergien bei weniger Nebenwirkungen. 

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Synthetische endogene Peptide wie Insuline, Insulin-Analoga und GLP1-Rezeptoragonisten (RA) mit immer längeren Halbwertszeiten sind längst medizinischer Standard. Neuer im Diabetesbereich sind Fusionsmoleküle. Ziel der Molekülfusion von GLP1- und Glucagon-RA: die Entwicklung eines „unimolekularen Poly-Agonismus für Diabetes und Adipositas“, so Aaron Novikoff vom Helmholtz Zentrum, München. Dieses Molekül sollte insulinotrop sein, die Sättigung fördern und für einen erhöhten Energieumsatz sorgen.

Energieumsatz rauf, Nahrung und Gewicht runter
Während die Titration der beiden Bestandteile in nur einem Molekül schwierig ist, liegen die Vorteile eines Monoprodukts neben der gewünschten Synergie der metabolischen Wirkungen im identischen pharmakokinetischen Profil, mit identischer Halbwertszeit, Verteilung im Körper und Clearance. Dr. Richard DiMarchi und Prof. Dr. Dr. Matthias Tschöp gelang die Synthese eines stabilen, ausbalancierten Moleküls. In 2013 konnte der synergistische Effekt von GIP auf die metabolische Wirkung von GLP1-RA an Mäusen gezeigt werden: Körpergewicht und Nahrungszufuhr sanken stärker als bei den Einzelsubstanzen1, und: „In präklinischen Studien wurde durch die duale Therapie weniger Übelkeit und Erbrechen gegenüber alleiniger GLP1-RA-Gabe beobachtet.“ 

Während NovoNordisk seine Konzernstrategie nach Phase-2-Studien mit diesem Molekül änderte, stieg Eli Lilly mit einem veränderten, nicht ausbalancierten GLP1-/GIP-RA in die Entwicklung des Inkretin-basierten Medikaments ein. Die Ergebnisse der SURPASS-Studien sind inzwischen bei der EMA für die Zulassung eingereicht, berichtete Novikoff. Durch das Zusammenspiel der beiden glukoseabhängigen RA im Fusionsmolekül Tirzepatid konnte ohne erhöhtes kardiovaskuläres Risiko eine deutlich höhere Gewichtsabnahme erzielt werden als durch Orlistat, Naltrexon/Bupropion, Liraglutid oder Semaglutid. Ein Tri-Agonist, der am GIP-, GLP1- und Glukagon-Rezeptor wirkt, zeigte in Phase-1- und Phase-2-Studien ebenfalls erfreuliche Ergebnisse hinsichtlich dosisabhängiger Reduktion des Körpergewichts und der Nahrungszufuhr.2 „Mit diesen unimolekularen dualen und dreifachen Agonisten können wir bald über die bisherigen Goldstandards bei der Gewichtsabnahme hinausgehen“, so Novikoff. 

Bisherige Studien mit Immuntherapeutika beim Typ-1-Diabetes (T1D) weisen ein Manko auf, sagte Prof. Dr. Klaus Badenhoop, Deutsches Endokrinologisches Versorgungszentrum, Frankfurt/Main: „Sie wurden vor allen mit Patient*innen in Spätphasen der β-Zellschädigung durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits etwa 90 % der β-Zellen verloren und die Erfolgsaussichten dadurch begrenzt.“ Diesem Dilemma wurde erstmals durch eine Studie mit dem Anti-CD3-Antikörper Teplizumab begegnet, in der Verwandte von T1D-Patient*innen mit mindestens zwei nachgewiesenen Antikörpern für β-Zellpositivität im Prä-T1D-Stadium behandelt wurden. Über 24 Monate war die T1D-Manifestation signifikant verzögert gegenüber Placebo. Aufgrund der häufigen viralen Infektionen, die als Nebenwirkung auftreten, würden Ärzt*innen die Therapie aber nicht zu lange fortsetzen wollen, erklärte er. 

Derzeit laufen Phase-3-Studien für Kombinationstherapien mit GLP1-RA. Bei neu manifestiertem T1D stabilisierten Anti-Interleukin-21-Antikörper plus Liraglutid die β-Zellrestfunktion und den Glukosemetabolismus über 54 Wochen in einer Phase-2-Studie.3 „Eine Immunmodulation beim neu manifestierten Typ-1-Diabetes ist eine sichere Therapie“, urteilte Badenhoop. 

„Aber die immunologischen Effekte sind zeitlich begrenzt und die metabolische Stabilisierung besteht nur für die Dauer der Intervention.“ Das heißt: Der progrediente Verlust der Insulinsekretion wird nur verzögert; ein dauerhafter Insulinmangel lässt sich so nicht verhindern. Die neueste Entwicklung in der Stammzelltherapie sind Devices, die abgekapselt in einer Membran – geschützt gegen eine Immunantwort, pankreatische Endodermzellen (Progenitorzellen von β-Zellen) enthalten.4 In den Devices finden Vaskularisierung und glukosegetriggerte Reifung der enthaltenen Zellen statt. Für eine begrenzte Zeit stellte man bei 15 T1D-Patient*innen eine individuelle, mahlzeitenresponsive Insulinsekretion fest.5 „Eine Stammzelltherapie führte bei bis zu 60 % der Patient*innen zu passagerer Insulinunabhängigkeit“, sagte Prof. Badenhoop. „Man sollte der Entwicklung der Devices für die Zukunft sehr viel Aufmerksamkeit schenken.“

 

Dr. Karin Kreuel
128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

1.    Finan B et al. Nat Med 2015; 21: 27-36; doi: 10.1038/nm.3761
2.    Coskun T et al. Mol Metab 2018; 18: 3-14; doi: 10.1016/j.molmet.2018.09.009
3.    von Herrath M et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9: 212-224; doi: 10.1016/S2213-8587(21)00019-X
4.    Ramzy A et al. Cell Stem Cell 2021; 28(12): 2047-2061. doi: e5. doi: 10.1016/j.stem.2021.10.003. 
5.    Shapiro AMJ et al. Cell Rep Med. 2021; 2(12): 100466. doi: 10.1016/j.xcrm.2021.100466.