HbA1c-IGeL mit »unklarem« Nutzen?
Essen. Seit zehn Jahren nimmt der Medizinische Dienst Bund Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) unter die Lupe und informiert online über Nutzen und Schaden. Wie schon 2012 urteilen die IGeL-Prüfer auch dieses Jahr wieder: Der Patientennutzen einer Bestimmung des HbA1c-Wertes als Früherkennungsuntersuchung sei „unklar“. Die DDG sieht das anders.
Auf der Webseite igel-monitor.de informiert das Team des Medizinischen Dienstes über 55 IGeL – von „Akupunktur in der Schwangerschaft“ bis „Ultraschall zur Früherkennung von Prostatakrebs“. Es schaut sich die Studien zu den Selbstzahlerleistungen an und gleicht seine Ergebnisse mit internationalen Leitlinien ab. Meistens heißt es „der potenzielle Schaden überwiegt den möglichen Nutzen“ oder das abwägende Urteil lautet „unklar“. Nur zwei IGeL werden „tendenziell positiv“ bewertet.
IGeL-Prüfer finden keine Studien zu Nutzen und Schaden
„Ob der HbA1c-Test helfen kann, Typ-2-Diabetes früher zu entdecken und durch die nachfolgende Therapie den Verlauf günstiger zu beeinflussen als der Nüchternblutzuckertest, lässt sich anhand der vorliegenden Studien nicht beurteilen“, heißt es beim IGeL-Monitor. Ebenso wenig lasse sich aufgrund der fehlenden Studien der Nutzen oder Schaden des Screenings mit HbA1c-Bestimmung in Kombination mit der Nüchternplasmaglukose zur Detektion von Diabetes im Vergleich zu einem Screening mit alleiniger Nüchternplasmaglukose ableiten.
Als Teil des „Check-ups“ ist der Nüchternblutzuckertest eine Kassenleistung. Häufig werde in Praxen jedoch „alternativ dazu oder zusätzlich“ der HbA1c-Test zur Früherkennung für 12 bis 15 Euro angeboten.
„Die DDG sieht, wie andere Fachgesellschaften auch, durchaus einen eindeutigen Nutzen in der HbA1c-Bestimmung zur Detektion von Diabetes“, kommentiert Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Leiter der Kommission gesundheitspolitische und wissenschaftspolitische Fragen der DDG, das Votum des IGeL-Monitors.
In ihren Praxisempfehlungen rät die Fachgesellschaft zu einem Screening bei vorhandenen Risikofaktoren wie Übergewicht, Verwandte ersten Grades mit Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämie oder nicht-alkoholischer Fettleber. Zusätzlich sollte den zu untersuchenden Personen ein standardisierter Selbsttest-Fragebogen ausgehändigt werden, der in Deutschland bezüglich der Identifizierung von Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko evaluiert ist.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Lutz Heinemann und Prof. Dr. Rüdiger Landgraf von der Kommission Labordiagnostik in der Diabetologie der DDG & DGKL hat sich Prof. Gallwitz den Stand der wissenschaftlichen Empfehlungen genau angeschaut. Die Experten verweisen u.a. auf eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Darin heißt es: „Die DGIM empfiehlt, im Rahmen des Check-up 35 strukturiert (entsprechend der jährlich aktualisierten Praxisempfehlungen der DDG) auf Risiken für eine diabetische Stoffwechsellage zu befragen und zu untersuchen. Bei vorhandenen Risikofaktoren sollten der HbA1c-Wert und die Glukose aus venösem Plasma bestimmt werden, um so früh wie möglich einen Diabetes mellitus zu erkennen und entsprechende Interventionen einzuleiten.“
Internationale Empfehlungen zur (Prä-)Diabetes-Testung
Prof. Gallwitz moniert: „Im IGeL-Monitor wurden die aktuelle Entwicklung der Diabetesinzidenz und die Problematik der hohen Dunkelziffer an unerkanntem Typ-2-Diabetes nicht vollständig berücksichtigt und auch die Literatur, die zu den internationalen Empfehlungen geführt hat, nicht ausreichend zusammengestellt und gewürdigt.“ Jährlich erkranken hierzulande mehr als eine halbe Million Menschen an Typ-2-Diabetes, die Dunkelziffer wird auf mindestens zwei Millionen geschätzt. „Da sich ein Typ-2-Diabetes langsam über eine gestörte Glukosetoleranz entwickelt, könnte eine frühe Diagnosestellung bei asymptomatischen Patienten das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko durch eine rechtzeitige Änderung des Lebensstils senken. Hierfür gibt es Evidenz.“
Die United States Preventive Services Task Force (USPSTF) empfiehlt ein populationsbasiertes Screening zwischen 40 bis 70 Jahren, beschränkt auf übergewichtige (BMI > 25 kg/m2) bzw. adipöse (BMI > 30 kg/m2) Menschen. Eine erneute Testung sollte bei übergewichtigen Patienten mit normalen Glukose-Parametern nach drei Jahren erfolgen.
Die Amerikanische Diabetesgesellschaft (ADA) empfiehlt eine Testung Diabetes/Prädiabetes bei über 35-Jährigen mit einem BMI ≥ 25 kg/m2 und einem oder mehr Risikofaktoren wie HbA1c ≥ 5,7 %, Verwandten ersten Grades mit Diabetes, hohem ethnischem Risiko, anamnestisch Gestations-Diabetes, kardiovaskulärer Erkrankung, Bluthochdruck oder Dyslipidämie. Eine erneute Testung sollte bei normwertigen Parametern nach drei Jahren erfolgen.
Die Canadian Task Force on Preventive Health Care rät zur Diabetesrisiko-Ermittlung bei allen Erwachsenen im Abstand von drei bis fünf Jahren mittels FINRISK oder CANRISK Scores, ggf. dann ein Screening alle drei bis fünf Jahre mittels HbA1c-Bestimmung (≥ 6,5 %).
„Die DDG plädiert nachdrücklich für die hier geschilderte Vorgehensweise und die Bestimmung von Nüchternglukose und HbA1c als Screeningparameter für die Diagnose eines Typ-2-Diabetes“, stellen die Vertreter der Fachgesellschaft klar.
Michael Reischmann
Literaturverzeichnis: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/politik/stellungnahmen