„Die digitale Praxis ist keine Hexerei!“
HANNOVER. In Sachen Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt Deutschland laut OECD-Ranking unter 22 Nationen nur auf dem drittletzten Platz. Insbesondere in vielen Arztpraxen sind Vorbehalte noch weitverbreitet – obwohl es viele Vorteile gibt.

Als Dr. Ulrike Becker 2022 zusammen mit einer Kollegin in Bonn eine hausärztliche Praxis übernahm, fand sie dort ausschließlich analoge Karteikarten vor. Neben der fachlichen Erweiterung der Praxis um einen diabetologischen Schwerpunkt galt es also, alle Karten zu digitalisieren, Akten einzuscannen, Daten digital zu übernehmen und weiterzuführen. Die Veränderungen kosteten zwar einiges an Geld und Nerven – doch Dr. Becker ist froh, dass ihre Praxis in Sachen Digitalisierung nicht bei der Verwaltung von Patientenakten haltgemacht hat. Sie schilderte die Arbeitserleichterungen, die eine konsequente Umstellung auf digitale Prozesse mit sich bringt.
„Der erste Kontakt mit der Praxis findet häufig über die Homepage statt, die als digitales Aushängeschild dient“, berichtete sie. Die Diabetologin empfindet digitale Kontakte als besonders effizient: „Wir können sie besser abarbeiten als Anrufe, weil sie sich gezielt und priorisiert bearbeiten lassen.“ Dabei hilft auch der digitale Telefonassistent. Er nimmt Anrufe entgegen, transkribiert sie und leitet sie als Textnachricht weiter. „Bei uns gibt es kein Besetztzeichen mehr, das wissen Patienten auch zu schätzen. Und unsere MFA werden nicht ständig in ihrem Arbeitsfluss gestört, das reduziert die Stressbelastung.“ Dank Internettelefonie sei auch ortsunabhängiges Arbeiten möglich, eine Medizinische Fachangestellte (MFA) arbeite einmal pro Woche im Homeoffice. Sogar bei der Raumpflege lässt sich die Praxis digital helfen; ein Putzroboter wird in nicht hygienekritischen Bereichen eingesetzt.
Die vielfältigen Möglichkeiten des PVS nutzen
Entscheidend ist aus Dr. Beckers Sicht die Nutzung der vielfältigen digitalen Möglichkeiten des Praxisverwaltungssystems (PVS): „Wenn Patienten in unsere Praxis kommen, wird jedes Mal ihre Chipkarte ausgelesen (…). Manche haben nämlich seit dem letzten Termin die Kasse gewechselt oder sind umgezogen, das Einlesen erspart uns also viel Arbeit.“ Als Nächstes folge die Auslesestation, von der aus die Daten von Pumpen- und AID-Systemen direkt ins PVS übertragen und im Sprechzimmer genutzt werden können.
Und auch die Fußambulanz arbeitet voll digital: So werden Wundfotos vom iPhone ins PVS übertragen – „das ist auch datensicher, weil es nirgendwo anders zwischengespeichert wird“, betonte Dr. Becker. E-Rezepte und Arztbriefe werden über KIM (standardisierter E-Mail-Dienst in der Telematikinfrastruktur) versendet – inklusive Check auf Wechselwirkungen mit dem Medikationsplan.
Digitale Prozesse entlasten das Team
Dr. Becker geht davon aus, dass die meisten Praxen nur ein Drittel der PVS-Möglichkeiten nutzen. Ihr Rat: „Beschäftigen Sie sich damit, auch wenn ein Wechsel wehtut. Ich habe es gemacht – es war schmerzhaft und teuer, aber ich habe es noch keinen Tag bereut.“ Reibungslose digitale Prozesse tragen dazu bei, das Praxisteam zu entlasten: „Ich habe festgestellt, dass meine MFA nicht so oft krank sind, wenn sie weniger stressbelastet sind. In diesen Stressabbau müssen wir reininvestieren, das zahlt sich aus.“
Antje Thiel