„Den Mut haben, Neues auszuprobieren“
ULM. Neue Dimensionen der Diabetologie – so lautet das Motto des Diabetes Kongresses 2025. Welche Dimensionen das genau sind und was die Teilnehmenden sonst noch Neues erwartet, berichtet Kongresspräsident Professor Dr. Martin Heni.

Herr Professor Heni, was macht einen gelungenen Kongress aus?
Prof. Heni: Am wichtigsten an Kongressen finde ich den persönlichen Austausch mit Leuten, die man schon lange kennt, wichtig ist aber auch, neue Leute kennenzulernen, mit ihnen in Austausch zu gehen und von ihnen Neues zu lernen – und zwar über die Fachgrenzen hinweg. Die Interdisziplinarität finde ich beim Diabetes Kongress immer besonders bereichernd, es kommen Teilnehmende aus der Wissenschaft, aus den Beratungsberufen, aus der Medizin. So gibt es die Möglichkeit, viele neue Leute kennenzulernen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Ich finde es toll, Neuigkeiten sowohl aus der Versorgung als auch aus der Wissenschaft mitzunehmen. Außer auf Kongressen gibt es wenige Möglichkeiten, das in so komprimierter Form zu tun und über den Tellerrand hinauszublicken. So lässt sich etwas über Themen lernen, die gar nicht so auf dem Schirm waren und es sind oft die interessantesten Dinge, die man auf diese Weise mitnimmt.
Kurzbiografie Prof. Dr. Martin Heni Der Wissenschaftler und Arzt ist Leiter der Sektion Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm. Mit seiner Arbeitsgruppe forscht er an der Interaktion zwischen Gehirn und Stoffwechsel. Prof. Heni hat 2019 den Ferdinand-Bertram-Preis (inzwischen: Young Investigator Award) der DDG und 2022 den Minkowski-Preis der EASD erhalten. Als Kongress-sekretärinnen stehen ihm Dr. Julia Hummel und Sabrina Wangler zur Seite. Den Diabetes Kongress besucht Prof. Heni seit 2008. |
Das Kongressmotto lautet: „Neue Dimensionen der Diabetologie – Individuell. Interdisziplinär. Innovativ.“ Welche Dimensionen sind gemeint?
Prof. Heni: Es gibt kaum ein Fach in der Medizin, das in den letzten Jahren so innovativ war wie die Diabetologie. Wir haben ganz neue Möglichkeiten der pharmakologischen Therapie, wir haben neue Konzepte im Einsatz von Technologie und zunehmend setzen wir auch die neuen Methoden der künstlichen Intelligenz sowohl im Screening als auch in der Therapie ein. Ein großer Fortschritt ist auch, dass wir mit anderen Fachdisziplinen immer stärker zusammenarbeiten, dass aber auch andere Disziplinen von uns lernen und dass auf einmal mit Innovationen aus der Diabetologie Krankheiten, an die wir erst gar nicht gedacht hatten, behandelt werden können. Das ist neu.
Welche weiteren Dimensionen würden Sie sich wünschen?
Prof. Heni: Ich wünsche mir, dass Patientinnen und Patienten stärker eingebunden werden. Da können wir mehr machen. Im Moment kommt viel aus der Medizin, aus der Wissenschaft, und daraus entsteht viel Gutes und Neues. Die Patientenperspektive mehr einzubinden, kann aber auch ein großer Gewinn sein. Außerdem wünsche ich mir, dass wir auf europäischer und internationaler Ebene noch stärker zusammenarbeiten. Die Herausforderungen, die wir haben, sind in vielen Bereichen in Europa und auf der Welt die gleichen und zusammen ist man immer stärker als alleine.
Und in welcher Dimension ist die Diabetologie zu wenig unterwegs?
Prof. Heni: Ein Thema, das mir sehr wichtig ist, ist die Prävention. Wir sind schon richtig gut, wenn es um Therapie geht. Aber in der Prävention sowohl von Diabetes und Adipositas als auch von Komplikationen können und sollen wir besser werden. Die Prävention geht über die Diabetologie hinaus, es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.
Und auch bei der Technologie sollten wir mehr machen. Es wird im Moment sehr aus der Technologie heraus gedacht. Ich glaube, hier brauchen wir mehr klinischen Bezug und mehr Bezug zu den Bedürfnissen der Betroffenen.
Werfen wir einen Blick auf Ihre eigene Forschung: Woran forschen Sie mit Ihrer Ulmer Arbeitsgruppe?
Prof. Heni: Wir interessieren uns sehr dafür, wie unterschiedliche Organe im Körper zusammenarbeiten, um den Stoffwechsel im Lot zu halten. Ein Schwerpunkt dabei ist, wie diese Prozesse durch das Gehirn reguliert werden. Wir haben uns sehr um das Hormon Insulin gekümmert, um andere Hormone zwischenzeitlich auch, und versuchen zu verstehen, wie Störungen zu einem Phänotyp führen, der Betroffene zu einem hohen Risiko von metabolischen Erkrankungen und Komplikationen prädisponiert. Es geht darum, zu verstehen, warum manche Menschen Diabetes und Komplikationen bekommen und andere nicht.
Ich habe früh entschieden, nicht an der Maus zu forschen. Bei Menschen lässt sich durch sehr gut geplante Studien viel herausfinden und auch Mechanismen verstehen. Ziel ist mittelfristig auch, neue prädiktive Marker zur Identifikation von Hochrisikopersonen zu finden und schließlich auch Präventions- und Therapieansätze. Davon sind wir noch ein ganzes Stück weit entfernt.
An der Programmplanung waren auch die beiden Kongresssekretärinnen Dr. Julia Hummel und Sabrina Wangler beteiligt. Welche Impulse haben die beiden eingebracht?
Prof. Heni: Ich bin sehr froh, die beiden an der Seite zu haben. Zum einen haben wir intensiv über verschiedene Themen diskutiert. Es hilft sehr, unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen und nicht alles alleine zu entscheiden. Die beiden haben die Themenvielfalt gestärkt und sehr darauf geachtet, dass wir sowohl die Qualität der Beiträge im Auge behalten als auch die Vielfalt der Formate. Das war wirklich Teamwork auf Augenhöhe.
Im Programm haben wir vier Battles of the Experts. Das Konzept wurde schon beim letzten Diabetes Kongress ausprobiert; wir haben nun versucht, es zu einem tatsächlichen „Kampf“ zwischen Experten weiterzuentwickeln. Wir haben auch sehr viel Wert gelegt auf die Kooperation mit anderen Fachgesellschaften und ausländischen Partnerinnen und Partnern. Ganz bewusst haben wir Professor Tuckermann, den Präsidenten der DGE, ins Programmkomitee genommen, um auch die Sichtweise der Endokrinologie stärker einzubringen.
Welche Highlights im Programm empfehlen Sie besonders?
Prof. Heni: Kommen Sie zur Eröffnungsveranstaltung, die wird wie jedes Jahr super. Das ist der programmatische Auftakt: Es geht los in einen tollen Kongress. Gehen Sie zu den Battles of the Experts: Es wird kontrovers, es wird lehrreich und es wird hoffentlich auch unterhaltsam. Und gehen Sie in Nachwuchssymposien: Das ist die Zukunft der Diabetologie.
Ein legendäres Event ist der Diabetes-Lauf. Werden Sie teilnehmen?
Prof. Heni: Auf jeden Fall, klar, Bewegung gehört zur Diabetologie, auch für den Kongresspräsidenten.
Ich bin kein langjähriger leidenschaftlicher Läufer, aber seit einigen Wochen im Training, um mich vorzubereiten. Wir machen auch als Mannschaft mit, mit Kolleginnen und Kollegen aus unserem Team und aus allen Berufsgruppen.
Was sollen die Besucherinnen und Besucher vom Diabetes Kongress mitnehmen? Was wünschen Sie sich?
Prof. Heni: Neue Impulse und neue Ideen, die man in den eigenen Tätigkeitsbereich mitnehmen kann. Außerdem sollte jeder mindestens einen neuen Menschen kennengelernt haben, einen neuen Bekannten oder Freund. Und ich hoffe, dass alle, die beim Diabetes Kongress dabei sind, erleben, was für ein tolles Fach wir sind, was für eine tolle Community, und wie schön es ist, Teil einer solch aktiven Community zu sein.
Die Teilnehmenden werden auch einen Blick werfen können auf die Zukunft der Diabetologie und sehen, wo es hingehen soll. Das betrifft die Umwälzungen im Gesundheitswesen, und auch in der Forschung werden wir sehen, was andere machen und auf welchem Weg die Forschung ist. Ich hoffe, was wir aus dem Kongress mitnehmen, sind neue Ideen und der Mut, Neues im eigenen Wirkungsbereich auszuprobieren. Das wünsche ich uns allen.
Interview: Günter Nuber, Nicole Finkenauer