Dramatisch mehr Komplikationen

Diabetesversorgung während der Pandemie ist eine Herausforderung

Heidelberg. Die Coronapandemie hat den Klinikalltag nicht nur auf den Intensivstationen, sondern auch in der Diabetologie durcheinandergewirbelt.

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Als am 6. März 2020 der erste Lockdown begann, wurde unser Krankenhaus innerhalb von nur zehn Tagen vollkommen auf den Kopf gestellt“, berichtet Privatdozent Dr. Erhard Siegel, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Innere Medizin, Abteilung für Gastroenterologie, Diabetologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin am St. Josefskrankenhaus Heidelberg.

Alle Abläufe mussten angepasst werden, angefangen beim Erstellen von Notfallplänen, über zum Teil täglich zu überarbeitende Hygieneregelungen, das Einrichten von Quarantänestationen, bis hin zum Beschaffen von Schutzmasken und -kleidung. Da die ansonsten an fünf Tagen die Woche geöffnete diabetische Tagesklinik aus Infektionsschutzgründen schließen musste, kann die Abteilung für Diabetologie, die im Schnitt 3000 Patienten jährlich betreut, seit dem Frühjahr 2020 keine Gruppenschulungen zur Diabetesberatung mehr anbieten.

„Wir mussten von einem Tag auf den anderen auf Einzelschulungen umstellen“, sagt Diabetesberaterin Ulrike ­Seltenreich. Eine He­rausforderung sei es, den Patienten klarzumachen, dass sie ihr Diabetesmanagement gerade jetzt nicht vernachlässigen dürften, da ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus eine hochgradige Gefährdung im Fall einer COVID-19-Infektion darstelle.

Erschwerend komme hinzu, dass die Patienten durch die Isolierung nach stationärer Aufnahme nur eingeschränkt erreich- und schulbar seien. „In der Zeit dürfen sie weder Kontakt zu Angehörigen oder Freunden haben, was auch für uns ein großes Problem darstellt, vor allem bei Patienten, bei denen wir auf die Unterstützung durch Begleitpersonen angewiesen sind, wie Migranten oder ältere Menschen“, erklärt Dr. Siegel. Zudem scheuten Patienten aus Angst vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 einen Klinikaufenthalt.

Was den Diabetologen regelrecht schockiert ist die Tatsache, dass seit Ausbruch der Pandemie die Zahl der Patienten mit einem völlig entgleisten Diabetes mellitus und den damit einhergehenden Komplikationen dramatisch zugenommen hat, während insgesamt deutlich weniger Patienten stationär behandelt wurden. So lagen die Fallzahlen der Abteilung für Innere Medizin im zurückliegenden Jahr um rund ein Drittel hinter denen des Vorjahres. „Zeitgleich hatten wir einen Anstieg allein der Fälle mit Ketoazidose um 8 %.“

Um wieder empathische Schulungen durchführen zu können, müssten Konzepte, unter anderem für Webinare, erarbeitet werden, die im klinischen Alltag eines Akutkrankenhauses mit Diabetesabteilung trotz der erforderlichen Aufnahmeisolierung und sozialen Distanzierung umgesetzt werden können.

Eine besondere Herausforderung, vor allem für Diabetesfachkliniken, stellt nach Ansicht von Dr. Siegel die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (PpUGV) dar. „Bei fehlender Verfügbarkeit von Pflegepersonal in der Pandemie fällt die PpUGV zuungunsten der stationären Diabetesstationen aus und kann für einige Kliniken sogar existenzbedrohend werden.“

Petra Spielberg