Auch Looper brauchen gelegentlich einen Coach

AID-Systeme in der Diabetesberatung

Berlin. AID steht für Automated Insulin Delivery und ist derzeit der wichtigste Trend in der Diabetestechnologie. Behandlungsteams blicken da manchmal skeptisch auf die neuen Systeme, die autonom in die Insulinabgabe eingreifen oder komplexe Dosisempfehlungen machen. Brauchen Menschen mit Diabetes, die sie nutzen, überhaupt noch Beratung durch Diabetesteams?

Der Diabetologe Dr. Bernhard Gehr, m&i Fachklinik Bad Heilbrunn, und die Diabetesberaterin Ulrike Thurm aus Berlin sind sich sicher, dass es auch mit immer ausgefeilteren Systemen weiterhin Bedarf für ihre Zunft gibt. Aktuell seien drei kommerzielle Systeme verfügbar bzw. stünden kurz vor der Markteinführung, berichtete Dr. Gehr.

Während das Mini-MedTM-670G-System der Firma Medtronic bereits in Deutschland auf dem Markt ist, hat die Control-IQTM-Technologie der Firma Tandem erst kürzlich die US-amerikanische Zulassung erhalten. Für das DBLG1®-System der Firma Diabeloop wiederum liegt bislang nur eine CE-Kennzeichnung vor.

Auch die Bedienung eines AID-Systems will gelernt sein
„Die Algorithmen der drei Systeme sind nicht vergleichbar“, betonte der Experte, „doch es gibt natürlich Gemeinsamkeiten.“ So setze die Nutzung von AID-Systemen immer voraus, dass die Anwender sämtliche traditionellen Aspekte der Pumpen und CGM-Therapie beherrschen. Auch das konventionelle Bolus-Management sei weiterhin entscheidend: Schätzen von Kohlenhydratmengen, Bolus-Ess-Abstand, korrekte BE und Korrekturfaktoren.

In aktuellen Studien hätten die Anwender von AID-Systemen im Schnitt 70 % der Zeit im Zielbereich (Time in Range, TiR) verbracht und nur 1–3 % der Zeit im hypoglykämischen Bereich. „Doch wer alle die genannten Punkte gewissenhaft und engagiert betreibt, kann auch ohne AID-System sein Diabetesmanagement deutlich optimieren“, ist sich Dr. Gehr sicher.

Oft überzogene Erwartungen
Als problematisch bezeichnete der Beirat der AGDT der DDG die überzogenen Erwartungen, die Patienten häufig mit den neuen AID-Systemen verbinden. Hierfür seien auch Presseveröffentlichungen mitverantwortlich, die mit Schlagworten wie „nie mehr messen“ über die „künstliche Bauchspeicheldrüse“ berichten und suggerieren, die Glukoseverläufe würden quasi ohne eigenes Zutun vollautomatisch gesteuert. „Dabei muss man die Systeme ja mit blutigen Messungen kalibrieren und auch weiterhin Mahlzeiten eingeben, Kohlenhydrate schätzen und ggf. einen Bolus-Ess-Abstand einhalten“, sagte der Diabetologe.

Umfassende und vollständige Schulung aller Grundlagen
Dies trifft auch auf die AID-Systeme Marke Eigenbau zu, die von einer wachsenden Zahl von Menschen mit Diabetes eingesetzt werden und häufig als Artificial Pancreas System (APS) oder DIY-Closed-Loop bezeichnet werden. „Auch diese DIY-Systeme bescheren einem nicht wie von Zauberhand eine optimale Diabeteseinstellung“, erklärte Thurm, die ebenfalls im Beirat der AGDT aktiv ist. Der Umgang mit diesen Systemen erfordere weiterhin eine aktive und extrem engagierte Mitarbeit. Allerdings könne man bei „Loopern“ von einer hohen Eigenmotivation ausgehen.

Für die Diabetesberaterin ist klar, dass auch „Zauberschüler“, die sich einen Closed Loop selbst bauen möchten, eine vollständige und umfassende Schulung aller Grundlagen der CGM- und Pumpentherapie benötigen. Doch auch die DIY-Community selbst achte darauf, dass nicht jeder Interessierte ohne Weiteres seinen „Loop“ in Betrieb nehmen kann.

So müsse der Nutzer beim besonders weit verbreiteten Android-APS einen umfangreichen elfstufigen Wissenstest absolvieren: „Wer die Wissensvoraussetzungen nicht erfüllt, erreicht erst gar nicht das nächste Level“, erklärte Thurm.

Katheterwechsel, FPE-Einheiten, Sport – Fragen gibt es genug
Auch wenn der „Loop“ bereits im Betrieb ist, sei das Diabetesteam keinesfalls überflüssig. Wie andere Pumpen- und CGM-Patienten benötigten „Looper“ Beratung zu geeigneten Injektionsstellen, zur Wahl des Kathetersystems, zur Wechselfrequenz von Kathetern, zur Prüfung von Basalrate sowie KE- und Korrekturfaktoren, zum Umgang mit Fett-Protein-Einheiten (FPE), zur Insulinwirkung bei Sport, Krankheit oder in verschiedenen Zyklusphasen, zum prozentualen Verhältnis von Bolus- und Basalinsulin, zu den Symptomen einer diabetischen Ketoazidose, zur Lagerung von Insulin etc.

Antje Thiel
DiaTec 2020