Stellungnahme

Gemeinsame Stellungnahme zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V von Ertugliflozin (Diabetes mellitus Typ 2)

25.02.2022

Einleitung SGLT-2 Inhibitoren und "Medizinischer Standard" der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2
Hemmstoffe des "sodium glucose transporters" (SGLT) der Isoform 2 (SGLT2-Inhibitoren, Abkürzung SGLT2i) wie Ertugliflozin sind oral wirksame Arzneimittel, die über eine Hemmung des Natrium-Glukose-Transporters am proximalen Tubulus der Niere die Natrium- und Glukoseausscheidung steigern. Die Substanzklasse der SGLT2i wurde primär zur Therapie des Typ-2-Diabetes (T2D) entwickelt, bei dem durch die spezifische SGLT2i-Wirkung die zuerst passiv glomerulär filtrierte Glukose später im proximalen Tubulus nicht mehr vollständig rückresorbiert wird und zur gesteigerten renalen Ausscheidung von Glukose führt. Auch Natrium wird vermehrt ausgeschieden. Letzterer Effekt tritt nicht nur bei Patienten mit T2D sondern auch bei Individuen ohne Stoffwechselerkrankungen auf. Bereits in den Zulassungsstudien für SGLT2i für die Diabetestherapie zeigte sich konsistent auch eine Blutdrucksenkung von ca. 2-4 mmHg systolisch, je nach Studie. Weitere Wirkmechanismen der SGLT2i (z.B. verbesserter Energiestoffwechsel im Gewebe) werden vermutet. 2015 und im Folgejahr wurde erstmals für den SGLT2i Empagliflozin in der prospektiv-randomisierten doppelblinden kardiovaskulären Sicherheitsstudie EMPA-REG OUTCOME gezeigt, dass bei kardiovaskulär vorerkrankten Menschen mit T2D der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt MACE-3 als primärer Endpunkt sowie die sekundären Endpunkte Gesamtsterblichkeit, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, Progression der chronischen Niereninsuffizienz und klinisch relevante Nierenereignisse (Verdoppelung des Serum-Kreatinins, Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie) durch eine Behandlung mit Empagliflozin statistisch signifikant im Vergleich zu antidiabetischer Standardtherapie gesenkt werden können [1,2]. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in der DECLARE-TIMI 58-Studie mit Dapagliflozin und im CANVAS-Studienprogramm mit dem in Deutschland nicht erhältlichen SGLT2i Canagliflozin [3,4]. Beim SGLT2i Ertugliflozin zeigte sich in der
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VERTIS CV-Studie ein nicht signifikanter Trend zur Reduktion des zusammengesetzten kombinierten Nierenendpunkts bestehend aus Tod wegen Nierenerkrankung, Nierenersatztherapie oder Verdopplung des Serumkreatinins gegenüber dem Ausgangswert [5]. In einer präspezifizierten explorativen Analyse der VERTIS CV-Studie war der kardiale Nutzen in Patienten mit CKD besonders ausgeprägt [6].
Die medikamentöse Therapie des T2D ist eine Stufentherapie, die Patienten-orientiert und Evidenz-basiert umgesetzt werden soll. Die diesbezüglich jährlich aktualisierten Praxisempfehlungen der DDG sowie die gemeinsamen Empfehlungen der europäischen (EASD) und amerikanischen (ADA) Diabetes-Gesellschaften [7,8], sind entsprechend in den Empfehlungen des "medizinischen Standards" der ADA 2022 [9] und in der Nationalen Versorgungsleitlinie zur Therapie des T2D [10] aufgenommen und weitergeführt worden und werden im Folgenden kurz zusammengefasst. Metformin ist weiterhin in der Regel Therapie der ersten Wahl. Die bevorzugte Empfehlung für eine weitere Medikation nach Metformin in der Stufentherapie richtet sich nach dem Patienten und der vorliegenden Evidenz. Konkret heißt dies, dass auf diese Weise zeitnah neue Daten kardiovaskulärer Endpunktstudien (CVOT/ Cardiovascular Outcome Trial) in die klinische Praxis translatiert und implementiert werden können. Die Patientenpopulationen, die in den CVOTs eingeschlossen wurden, werden bei der Empfehlung reflektiert. Dementsprechend werden bevorzugt die SGLT2i - oder Glukagon-Like Peptide-1 Rezeptoragonisten (GLP-1RA) bei Patienten mit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD / Atherosclerotic Cardiovascular Disease) empfohlen. Es wird dann der spezifische Wirkstoff der jeweiligen Substanzklasse gewählt, der in einer CVOT positive bzw. kardioprotektive Ergebnisse hatte und in dem jeweiligen Gesundheitssystem auch zugelassen ist. Auch in die Empfehlungen der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in Kooperation mit der EASD sind die umfangreichen Daten aus großen kardiovaskulären Endpunktstudien der letzten Jahre mit neuen antidiabetisch wirksamen Substanzen eingeflossen und haben zu einer neuen und konkreteren Positionierung von Metformin und kardioprotektiven blutzuckersenkenden Medikamenten bei Patienten mit Diabetes mellitus und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko geführt [11].
Der neue Algorithmus zur blutzuckersenkenden Therapie bei medikamentös unbehandelten Patienten mit T2D sieht – unabhängig vom HbA1c-Wert – zunächst eine Kategorisierung des
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Patienten entsprechend des kardiovaskulären Risikos vor. Patienten mit Atherosklerose-assoziierter kardiovaskulärer Erkrankung oder hohem/sehr hohem Risiko sollten als Klasse Ia-Empfehlung einen SGLT2i oder einen GLP1-RA erhalten. In den Leitlinien der KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes), European Society of Cardiology (ESC) und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie haben die SGLT2i einen sehr hohen Stellenwert bei der Diabetesbehandlung, der Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) und bei der Herzinsuffizienz [12,13].
Zum Dossier des pU
Der pU hat ein Dossier zur Nutzenbewertung von Ertugliflozin eingereicht, das in der herkömmlichen, bisher bewährten Struktur analog den bisherigen Verfahren aufgebaut ist und auch auf einer früheren Beratung des G-BA basiert. Demnach sind 5 unterschiedliche Anwendungsgebiete mit entsprechenden Patientengruppen berücksichtigt:
Anwendungsgebiet
Patientengruppe
zweckmäßige Vergleichstherapie
Studie
A
Monotherapie
SU
B
Add on 1 OAD
MET + SU oder
MET + Empa1 oder MET + Lira1 oder Insulin (MET KI)
VERTIS SU [14,15]
C
Add on >2 OAD
Insulin + MET oder Insulin + Empa1 oder Insulin + Lira1 oder Insulin (falls Kombi KI)
D
Add on Insulin
Optimierung Insulintherapie
E
CVD+
PBO + SoC (antidiabetisch und kardiovaskulär)
VERTIS CV [16]
OAD = orales Antidiabetikum; MET = Metformin; SU = Sulfonylharnstoff; CVD+ = kardiovaskulär Vorerkrankte; Empa = Empagliflozin, Lira = Liraglutid; 1 = jeweils in Kombination mit weiterer Medikation zur Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren, insbesondere Antihypertensiva, Antikoagulanzien und/oder Lipidsenker und nur für Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung; PBO = Plazebo; SoC = Standard of Care
Diesen Anwendungsgebieten sind zwei RCTs als Evidenz-basierte Grundlage zugeordnet, die zur Nutzenbewertung dienen sollten. Zusammenfassend sieht der pU einen Hinweis auf einen geringen
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Zusatznutzen von Ertugliflozin im Anwendungsgebiet B auf dem Boden der Daten der VERTIS SU-Studie im Vergleich zur Therapie mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid [14,15]. Als Beleg für den Hinweis für einen geringen Zusatznutzen weist der pU bei den patientenrelevanten Endpunkten der VERTIS SU Studie auf die Hypoglykämien mit Glukosewerten <56 mg/dL und auf die schweren Hypoglykämien, die externe medizinische Hilfe erforderten, hin. Hier zeigten sich statistisch signifikante Vorteile zugunsten von Ertugliflozin im Vergleich zu Glimepirid, wobei das Verzerrungspotenzial der Studie gering war und sich in der Studie darüber hinaus keine weiteren neuen Sicherheitssignale bei den Unerwünschte Ereignissen fanden.
Für das Anwendungsgebiet E sieht der pU einen Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen von Ertugliflozin gegenüber Standard-of-care-Therapie bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten bei der Endpunktkategorie Morbidität und stützt sich dabei auf die Daten der VERTIS CV Studie [16]. Hier werden die folgenden Morbiditätsdaten der Studie hervorgehoben:
 Für den Endpunkt "Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris" zeigt sich ein statistisch signifikanter Unterschied (HR [95 %-KI]: 0,69 [0,52; 0,91]; p = 0,008) zugunsten von beiden gepoolten Dosierungen von Ertugliflozin gegenüber Standardtherapie [16].
 Für den Endpunkt "Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz" (HR [95 %-KI]: 0,70 [0,54; 0,90]; p = 0,006) und "schwere Herzinsuffizienz" (HR [95%-KI]: 0,68 [0,56; 0,83]; p <0,001), sowie für "kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen rekurrenter Herzinsuffizienz" (HR [95 %-KI]: 0,82 [0,72; 0,95]; p = 0,006) und "Hospitalisierung wegen rekurrenter Herzinsuffizienz" (HR [95 %-KI]: 0,69 [0,56; 0,86]; p <0,001) fand sich ein signifikanter Unterschied von beiden gepoolten Dosierungen von Ertugliflozin gegenüber Standardtherapie [16].
 Für den Endpunkt "Bestätigte Verdopplung des Serum-Kreatinin-Spiegels und eGFR ≤45 ml/min/1,73 m2" (HR [95 %-KI]: 0,56 [0,32; 0,99]; p = 0,045) sowie für den Endpunkt "Bestätigte Reduktion der eGFR um 40 % auf < 60 ml/min/1,73 m2" (HR [95 %-KI]: 0,60 [0,44; 0,82]; p = 0,001) fanden sich in der VERTIS CV Studie statistisch signifikante Ergebnisse zugunsten von beiden gepoolten Dosierungen von Ertugliflozin gegenüber Standardtherapie [16].
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 Für den Endpunkt Hypoglykämien fand sich ein statistisch signifikanter Unterschied bei den Hypoglykämien <56 mg/dL IR (RR [95 %-KI]: 0,92 [0,85; 0,99]; p = 0,038) zugunsten von beiden gepoolten Dosierungen von Ertugliflozin gegenüber Standardtherapie [16]. Dies galt jedoch nicht für den Endpunkt "Schwere Hypoglykämien", die externe medizinische Hilfe benötigen.
Der pU kam aufgrund der VERTIS CV Daten in seinem Dossier zum Schluss, dass statistisch signifikante Unterschiede in der Endpunktkategorie Unerwünschte Ereignisse zuungunsten von Ertugliflozin in der Gesamtschau mit dem etablierten und bereits in der Fachinformation ausgewiesenen Sicherheitsprofil von Ertugliflozin übereinstimmen. Es wurden keine neuen Sicherheitssignale beobachtet und die bekannten Nebenwirkungen sind gut behandelbar.
Für die Anwendungsgebiete A, C und D beansprucht der pU keinen Zusatznutzen.